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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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näherte sich mit hoher Geschwindigkeit.
    Mit einem Fußtritt beförderte Passan den zusammengeschlagenen Mann auf die Asphaltpiste und setzte ihm einen Fuß auf die Brust. Der Sattelschlepper kam unerbittlich näher.
    Passan schloss die Augen.
    Er war das Gesetz.
    Er war die Gerechtigkeit.
    Er war das Schwert und der Richterspruch.
    Eine Sekunde, ehe die Reifen Guillards Schädel zermalmt hätten, schrak Passan zusammen, riss den Mann hoch, katapultierte sich mit ihm über die Leitplanke und rutschte den Abhang hinunter. Der Sattelschlepper brauste mit aufgeblendeten Scheinwerfern und wild hupend nur wenige Meter an ihren verschlungenen Körpern vorbei.

2
    »Das gibt Ärger. Ich schwöre dir, das gibt einen Riesenärger!«
    Passan blickte den Kommissar an, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Sein Gegenüber war klein, gedrungen und trug eine Jeansweste, unter der sich seine Sig Sauer deutlich abzeichnete. Auf dem Ärmel seiner Jacke war das Logo seiner Einheit aufgenäht.
    Ein Hubschrauber überflog das Gebiet und tastete die nassen Dächer der Häuser mit einem starken Scheinwerfer ab. Passan kannte sich gut genug in den Pariser Vorstädten aus, um zu wissen, wonach die Polizei suchte. Man fahndete nach Gruppen meist jugendlicher Taugenichtse, die sich irgendwo versteckten, um aus der Deckung mit Flaschen, Zündkerzen und Schottersteinen anzugreifen. Bereitschaftspolizisten waren in den Kellern ausgeschwärmt und sahen sich nach mit Steinen gefüllten Einkaufswagen um.
    Olivier Passan rieb sich das Gesicht und trat ein paar Schritte beiseite. Nur fort von der Menge. Er konnte das verrückte, fast kriegerisch anmutende Gehabe nicht leiden. Gerade erst war er dabei, sich von seinem eigenen Ausraster zu erholen. Das blendende Licht des Sattelschleppers. Der Kopf des Mörders auf dem Asphalt. Die unbändige Mordlust, die er gespürt hatte und die er sich als Ausübung des Gesetzes schöngeredet hatte.
    Er wandte sich zu Tom Pouce um.
    »Es war ein Notfall«, rechtfertigte er sich schließlich.
    »Und da treibst du dich einfach so in unserem Einsatzgebiet herum, ohne jemanden zu informieren?«
    »Wir haben den Hinweis erst in letzter Minute bekommen.«
    »Schon mal was von Artikel 59 gehört?«
    »Es musste schnell gehen, verdammt noch mal! Und vor allem möglichst diskret.«
    Pouce lachte kalt auf.
    »Was die Diskretion angeht, da bekommst du sicher noch einiges zu hören.«
    Um sie herum flackerte Blaulicht. Polizisten in Uniformen und weißen Kombis wuselten herum, zogen Absperrbänder und untersuchten den Tatort. Neugierige Kinder in viel zu großen T-Shirts und Kapuzenjacken drängten sich vor den gelben Bändern.
    »Bist du wenigstens sicher, dass es sich um den Geburtshelfer handelt?«
    Oliver zeigte auf die Tür des Lagerhauses.
    »Genügt dir das da drüben etwa nicht?«
    Die Leiche wurde weggebracht. Zwei Angestellte eines Bestattungsunternehmens schoben die Bahre zum Wagen. Das Opfer steckte in einem Plastiksack. Ein dritter Mann folgte mit einer Kühlbox, auf der ein rotes Kreuz prangte. Sie enthielt den verkohlten Fetus. Pouce rückte seine Armbinde zurecht.
    »Ihr Idioten habt das ganze Viertel in Gefahr gebracht.«
    »Aber die Gefahr ging von deinem Viertel aus.«
    »Soll jetzt etwa ich schuld dran sein?«
    Plötzlich erkannte Passan, wie erschöpft sein Gegenüber war. Seine Wut und die Verachtung fielen in sich zusammen. Pouce ging einfach nur auf dem Zahnfleisch – verbraucht von langen Jahren nutzloser Stadtguerilla-Arbeit. Verlegen wandte Passan sich wieder der stakkatoartig beleuchteten Umgebung zu. Familien standen an den Fenstern, Nutten drängten sich um das Sicherheitsband, Kinder im Schlafanzug tobten auf den Treppen der bogenförmigen Wohnhäuser. Mit Helmen und Gummigeschossen bewaffnete Ordnungskräfte waren angerückt und jederzeit bereit, in die Menge zu schießen.
    Einige besonders ausgebildete schwarze und nordafrikanische Polizisten bemühten sich, die Umstehenden zu beschwichtigen. Passan musste an die Fährtenleser im Wilden Westen Amerikas denken – Indianer, die den Weißen den Weg in eine geheimnisvolle, feindlich gesinnte Welt bereiteten. Diese Ethno-Polizisten waren ebenfalls eine Art Kundschafter.
    Auf dem Rückweg zu seinem Wagen ließ er noch einmal die Ereignisse Revue passieren, die ihn fast an die Pforte zur Hölle gebracht hatten. Am Vorabend war die achtundzwanzigjährige Leila Moujawad vermisst gemeldet worden. Die junge Frau war im neunten Monat schwanger.
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