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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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laufen«, schrie er. »Schnapp dir Guillard!«
    Sein junger Kollege stürmte in Richtung Baustelle, Passan lief zum Lagerhaus, verstaute die Beretta im Holster, schaltete sein Handy wieder ein, streifte im Laufen Handschuhe über und ließ die Schiebetür aufgleiten.
    Er wusste, was ihn erwartete.
    Aber es war noch viel schlimmer.
    In einer mit Motoren, Ketten, Werkzeug und Ersatzteilen vollgestopften Halle von etwa hundert Quadratmetern hing in fast ein Meter fünfzig Höhe eine junge Frau an einem Großtank. Ihre weit auseinandergespreizten Arme und Beine waren mit Gurten gefesselt. Man sah ihr die nordafrikanische Abstammung an. Sie trug einen Jogginganzug von Adidas. Hose und Slip waren bis zu den Knöcheln heruntergelassen, das T-Shirt war hochgestreift.
    Ihr Bauch war vom Brustbein bis zum Schamhügel aufgeschnitten, und die Därme hingen bis zum Boden hinunter. Vor ihr verkohlte ein Fetus in einer lodernden Lache. Die übliche Vorgehensweise. Sekunden vergingen. Sie kamen Passan wie Ewigkeiten vor. Er war unfähig, sich zu bewegen. Der Körper des Babys krümmte sich in der Glut. Erstickender Qualm stieg auf. Das Kind schien Passan mit glühenden Feueraugen zu beobachten.
    Endlich brachte er es fertig, sich loszureißen. Zwischen Reifen und Antriebswellen hindurch stürzte er auf das Feuer zu, riss einen Läufer vom Boden und bedeckte den winzigen Körper. Er musste mehrfach zuschlagen, ehe das Feuer endlich erlosch. In einer Ecke entdeckte er eine Leiter, stellte sie auf und stieg zu der gefesselten Frau hinauf. Er wusste, dass sie tot war, tastete aber zur Bestätigung nach ihrem Puls.
    Sein iPhone meldete sich. Er wühlte so heftig in seiner Tasche, dass er beinahe von der Leiter gefallen wäre.
    Die atemlose Stimme von Fifi meldete sich.
    »Was treibst du?«
    »Hast du ihn?«
    »Von wegen. Er ist auf und davon.«
    »Und wo bist du jetzt?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich komme.«
    Passan sprang von der Leiter und rannte mit der Waffe im Anschlag zur Tür. Draußen musste er sich zwischen Betonmischern, Hohlblocksteinen, Gipssäcken und Moniereisen durchquetschen. Es war stockfinster. Er konnte kaum etwas erkennen.
    Nach wenigen Metern fiel er der Länge nach hin. Hastig rappelte er sich auf und untersuchte das Hindernis, das ihn zu Fall gebracht hatte. Es war Fifi. Er lag auf dem Boden. Sein Fuß war unter einer abgerutschten Palette Rigipsplatten eingeklemmt.
    »Ich bin hingefallen, Passan. Ich bin gefallen.«
    Passan hätte nicht sagen können, ob der junge Mann lachte oder weinte. Er bückte sich, um seinem Kollegen zu helfen, doch dieser wehrte ab.
    »Vergiss es! Such lieber das Arschloch!«
    »Wo ist er?«
    »Da. Die Mauer!«
    Passan drehte sich um und machte in einigem Abstand eine schemenhaft sichtbare Brandmauer aus, die sich offenbar über mehrere Hundert Meter erstreckte. Jenseits der Mauer schimmerte ein diffuses Licht: die Nationalstraße. Mit der Beretta in der Hand rannte er los. Er fand einen Erdhaufen, von dem aus er auf die Mauer klettern konnte, und ließ sich auf die andere Seite fallen. Hier war nur noch ödes Brachland. In der Ferne fuhren Autos. Im Scheinwerferlicht entdeckte Passan die Umrisse von Patrick Guillard, der sich, immer wieder strauchelnd, den steilen Hang hinauf auf die breite Straße zubewegte.
    Passan stürmte los. Die Kevlarweste brachte ihn ins Schwitzen. Seine Füße blieben so tief im Matsch stecken, dass er manchmal Mühe hatte, sie freizubekommen.
    Aber er holte auf.
    Guillard erreichte den höchsten Punkt des Abhangs. Gleich dahinter lag die Nationalstraße. Passan legte noch einmal einen Zahn zu. Als sein Gegner gerade über die Leitplanke klettern wollte, erwischte er ihn am Bein und zerrte ihn ein Stück den Hang hinunter. Guillard versuchte, sich an Grasbüscheln festzuhalten. Passan packte ihn am Kragen, drehte ihn um und ließ seinen Schädel mehrmals heftig auf einen Steinbrocken prallen.
    »Widerliches Arschloch!«
    Guillard wehrte sich. Der Polizist prügelte mit dem Lauf seiner Waffe auf ihn ein. Er spürte, wie das Blut seines Widersachers seine Finger, seine Augen und sein Nervenkostüm überschwemmte. Jedes Mal, wenn auf der Straße unmittelbar oberhalb der beiden kämpfenden Männer ein Auto vorbeifuhr, bebte der Boden.
    Plötzlich hielt Passan inne. Mit hervortretenden Augen richtete er sich auf, steckte die Waffe ein und zerrte den schlaffen Körper Guillards den Hang hinauf an den Rand der Fahrbahn.
    Scheinwerfer blendeten auf. Ein Sattelschlepper
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