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Die Wächter von Jerusalem

Die Wächter von Jerusalem

Titel: Die Wächter von Jerusalem
Autoren: Franziska Wulf
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Blick zum Himmel. Bis die Stadt erwacht war und der Markt eröffnet wurde, würden mindestens noch zwei Stunden vergehen. Es blieb also noch genügend Zeit, sich von der beschwerlichen Wanderschaft ein wenig auszuruhen, bevor er sich wieder auf den Weg machen musste, um rechtzeitig vor den ersten Kunden seine Waren auszubreiten . Er konnte warten, bis die Nachtwachen an den Toren abgelöst und die Feuer gelöscht wurden. Zu Beginn ihrer Wache waren die Janitscharen meist besser gestimmt als zu ihrem Ende. Ja, er würde noch eine Weile warten.
    Meleachim suchte sich einen dichten Busch, nur zwei Schritte von der Straße entfernt, der ihm ein wenig Schutz vor dem beißenden Wind bot, der in kurzen, aber heftigen Böen über die Straße fegte und ihm Sand und trockene, nadelspitze Blätter ins Gesicht blies. Behutsam setzte er die beiden großen Bündel mit den Töpferwaren neben sich ab und streckte seine müden Glieder aus. Sich ein wenig auszuruhen würde ihm gut tun. Das letzte Stück Weg würde ihm dann umso leichter fallen.
    Das ist das Alter, dachte Meleachim und rieb sich die schmerzenden Schultern. Stets hatte er frohen Mutes jeden Freitag seine Last auf sich genommen. Doch seit einiger Zeit schien es ihm, als würden die Bündel von Woche zu Woche schwerer und der Weg immer länger werden.
    Aber er wollte sich nicht beklagen. Der Herr hatte es immer gut mit ihm gemeint. Er hatte eine gute, ehrliche Frau und fünf liebevolle Töchter, die ihn bereits mit einem Dutzend Enkelkindern beschenkt hatten. Er liebte seine Familie und seine Arbeit. Die Schüsseln, Krüge, Becher und Teller, die unter seinen geschickten Händen entstanden, zierten sogar die Tafeln der vornehmen Kaufleute in Jerusalem. Und wenn er wieder nach Hause ging, klimperten die Münzen in seinem Beutel, dass es eine Freude war. Mit der Arbeit seiner Hände konnte er seiner Familie ein bescheidenes, aber sorgenfreies Leben ermöglichen. Gebe Gott, dass es auch heute wieder so sein würde.
    Meleachim schreckte auf. Stimmen drangen an sein Ohr, und ihm wurde bewusst, dass er gegen seinen Willen eingeschlafen war. Es mochte eine gute Stunde vergangen sein. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch, und der Markt hatte gewiss noch nicht begonnen. Dennoch wurde es höchste Zeit, sich wieder auf den Weg zu machen. Er war gerade im Begriff, seine Bündel zusammenzuraffen und sich zu erheben, als er wieder die Stimmen hörte, die ihn geweckt hatten. Sie kamen näher. Meleachim wollte die Fremden begrüßen und sich bei ihnen für ihren Weckruf bedanken, doch im letzten Augenblick ließ er es bleiben. Ohne sagen zu können, weshalb, mochte er von den Fremden nicht gesehen werden. Statt ihnen also entgegenzugehen und den Rest des Weges zur Stadt in Gesellschaft zu verbringen, duckte er sich hinter dem Busch und spähte hindurch, als gälte es eine Räuberbande zu belauschen.
    Es waren zwei Männer. Sie trugen lange Reisemäntel, die Kapuzen hatten sie sich über den Kopf gezogen. Einer von ihnen stützte sich beim Gehen auf einen Stab. Sie sahen aus, als wären sie weit gereist, denn ihre Kleidung war staubig, und die großen ledernen Taschen hingen schlaff von ihren Schultern, als wären sie leer.
    Vielleicht sind es Pilger, dachte Meleachim. Ständig kamen Pilger nach Jerusalem – sowohl Juden und Christen als auch Moslems. Die einen wollten zur Klagemauer, die anderen zur Grabeskirche oder zum Felsendom. Manchmal, wenn sich einer der hohen Feiertage näherte, waren sogar so viele Pilger nach Jerusalem unterwegs, dass die Straße von den Bergen aus gesehen einem Ameisenweg glich und er Schwierigkeiten bekam , sich den Weg zum Markt zu bahnen.
    Erneut überlegte Meleachim, ob er die beiden nicht doch ansprechen sollte. Pilger waren nicht gefährlich, und wenn sie von weit her kamen, so wussten sie gewiss interessante Geschichten zu erzählen. Dennoch wagte er es nicht. Er schob es darauf, dass er ihre Gesichter nicht sehen konnte. Er wusste aus Erfahrung, dass nicht alle Christen und Moslems einem Juden freundlich gegenübertraten.
    Die beiden Männer kamen immer näher und blieben schließlich stehen – ausgerechnet neben dem Busch, hinter dem Meleachim kauerte. Er wagte kaum zu atmen.
    Der erste Mann sagte etwas. Seine Stimme klang jung. Doch die Sprache war fremd, und Meleachim verstand kein Wort.
    »Sprich hebräisch, Stefano«, erwiderte der andere Mann mit einem starken Akzent. »Es ist schließlich die Sprache unseres Herrn. Außerdem wirst du dich
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