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Die Voegel

Die Voegel

Titel: Die Voegel
Autoren: Daphne Du Maurier
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blaugefroren. Niemals zuvor hatte er solche Kälte erlebt, und dabei konnte er sich an viele harte Winter erinnern. Es war Ebbe; er schritt über die knirschenden Kiesel zum weichen, feuchten Sand und öffnete, mit dem Rücken gegen den Wind, den Sack.
    Mit dem Absatz scharrte er eine Vertiefung aus, um die Vögel hineinzuschütten. In diesem Augenblick aber trug ein Sturmstoß sie davon, hob sie in die Höhe, sodass es schien, als flögen sie; die fünfzig steif gefrorenen Vogelleichen wurden von ihm dort über die Bucht geweht, wie Federn durcheinander gewirbelt und in alle Richtungen zerstreut. Der Anblick hatte etwas Grausiges, er war ihm zuwider. Im Nu hatte der Wind die toten Vögel weggefegt.
    »Die Flut wird sie holen«, sagte er sich.

    Er blickte über das Meer, sah die weiß schäumenden, grünlichen Brecher, die jäh in die Höhe wuchsen, sich kräuselten und vornüber brachen. Das Rauschen kam von fernher, dumpf; es war Ebbe, das Brüllen und Tosen der Flut fehlte.
    Da, plötzlich, sah er sie. Die Möwen. Weit draußen auf den Wellen reitend.

    Was er zuerst für weiße Schaumkronen gehalten hatte, waren Möwen.
    Hunderte, Tausende, Zehntausende ... Sie stiegen und fielen mit der wogenden See; die Köpfe gegen den Wind gerichtet, warteten sie auf die Flut gleich einer mächtigen Flotte, die vor Anker liegt. Von Osten bis Westen, so weit das Auge reichte, waren Möwen; Möwen in geschlossener Formation, Linie auf Linie. Wäre das Meer ruhig gewesen, so hätten sie die Bucht gleich einer weißen Wolke bedeckt, Kopf an Kopf, Körper an Körper gepresst. Einzig die hochgepeitschte See verbarg sie dem Auge.
    Nat machte jäh kehrt, verließ die Bucht und kletterte den steilen Pfad nach Hause empor. Irgendjemand müsste davon erfahren. Irgendjemand müsste man es mitteilen. Es bereitete sich etwas vor, was er nicht begriff; vielleicht lag es am Ostwind, vielleicht an der Kälte. Er überlegte, ob er nicht zur Telefonzelle an der Bushaltestelle laufen sollte, um die Polizei anzurufen. Aber was hätte die tun können? Konnte überhaupt irgendeiner etwas tun? Tausende von Möwen hatten sich in der Bucht versammelt, vielleicht aus Hunger, vielleicht des Sturmes wegen.
    Die Polizei würde ihn entweder für verrückt oder betrunken halten oder die Mitteilung gelassen entgegennehmen. »Vielen Dank. Wir haben bereits davon gehört: das schwere Wetter treibt die Vögel in großer Zahl landeinwärts.«

    Nat sah umher. Noch immer keine Spur von den anderen Vögeln. Hatte die Kälte sie vielleicht tiefer ins Land gejagt? Als er sich dem Häuschen näherte, kam ihm seine Frau schon an der Tür entgegen. »Nat«, rief sie aufgeregt. »Das Radio hat es gebracht, sie haben eben eine Meldung durchgegeben. Ich habe sie mitgeschrieben.«
    »Worüber denn?«, fragte er.
    »Über die Vögel. Es ist nicht nur hier so, es ist überall dasselbe. In London, im ganzen Land. Irgendetwas ist mit den Vögeln los.«
    Gemeinsam betraten sie die Küche. Er las den Zettel, der auf dem Tisch lag.
    »Bekanntmachung des Innenministeriums, 11 Uhr vormittags. Aus dem ganzen Land gehen stündlich Berichte über riesige Mengen von Vögeln ein, die sich über Städten, Dörfern und Gehöften zusammenscharen. Diese Schwärme richten Schaden an, rufen Verkehrsstockungen hervor und greifen sogar vereinzelt Personen an. Vermutlich bewirken Luftströmungen aus der Polarzone, die gegenwärtig die Britischen Inseln überfluten, die Abwanderung so zahlreicher Vögel nach Süden. Durch Futtermangel und Hunger werden sie offenbar dazu getrieben, selbst Menschen anzufallen. Alle Haushaltvorstände werden hiermit aufgefordert, Fenster, Türen und Schornsteine abzudichten und alle notwendigen Maßnahmen, insbesondere für die Sicherheit der Kinder, zu ergreifen.«
    Nat empfand etwas wie Triumph; erregt sah er seine Frau an. »Da haben wir's«, sagte er, »hoffentlich hören sie es auch auf dem Hof. Dann wird ja auch die Bäuerin merken, dass ich ihr keinen Bären aufgebunden habe, dass es die reine Wahrheit war. Also überall im Land. Den ganzen Morgen habe ich gespürt, dass irgendetwas in der Luft liegt. Und gerade eben war ich unten an der Bucht, und wie ich so über das Wasser sehe, entdecke ich plötzlich die Möwen, Tausende und Abertausende von Möwen, so dicht geschart, dass man keine Nadel zwischen sie fallen lassen könnte. Sie schwimmen da draußen, schaukeln auf den Wellen, warten ab.«
    »Worauf warten sie, Nat?«, fragte sie.
    Er starrte sie an,
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