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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Autoren: Hannes Wertheim
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so nannten die Kölner ihre Stadt – zu sein und zu bleiben. Begründer einer Sippe, die in nicht allzu ferner Zeit in den erlauchten Kreis der kaum zweiundzwanzig Kölner Familien aufsteigen sollte, die die Geschicke dieser stolzen Stadt seit Jahrhunderten bestimmten, ihre Bürger- und Rentmeister stellten.
    Mit einem versuchten Lächeln, das leichter als eine Feder wog, wandte der Fernhändler sich um und betrachtete die Ratsherren in ihren schwarzen Amtsroben und Hauben, die, aus dem Rathausturm kommend, über den Löwenhof hierher in die neue Empfangshalle strömten. Der Ratskellermeister und seine Knechte erwarteten sie bereits, um süßen Malvasier auszuschenken und kleine Honigkrapfen zu reichen.
    Die Begrüßung des spanischen Gesandten und seiner Gefolgschaft war vorüber, die offiziellen Reden und eine kurze Ratssitzung im Beisein des Gastes gehalten. Nun ging es an die kleinen Besprechungen, das Flüstern und Plaudern, Horchen und Lauschen. Wer die Kunst beherrschte, Zwischentöne zu hören, der konnte vielleicht etwas erfahren über die Pläne der spanischen Krone und ihres Trägers, Philipps II., des mächtigsten europäischen Herrschers in diesen Tagen, Herr über ein Reich, in dem die Sonne nie unterging – ein zerrissenes Reich, übernommen von seinem Vater. Von Philipps Kriegsabsichten oder Friedensangeboten hingen Handel und Wohlstand ganz Europas, auch Kölns, ab. Die Ungläubigen rüttelten an den Türen der Welt – französische Hugenotten, die Schweizer Calviner, deutsche Lutheraner, Heiden, Türken, Indianer, alles eins. Sie ließen dem König, dem Erlöser der Völker, dem Hort der Armen und dem Schild der Reichen, wie der Habsburger sich nannte, keine Ruhe. Philipp hatte wie schon sein Vater – der selige Kaiser Karl V. – geschworen: »Ich spüre die Ketzer mit Hunden auf, jage sie mit Wölfen, schlage sie mit Feuer, rotte sie aus. Brennt die Ketzer ohne Unterschied, sage ich. Wenn nötig, heißt es, alle opfern dem einen, einzigen Gott.« Er liebte die Menschheit so sehr, daß der einzelne ihm nichts bedeutete.
    Der alte Kaufmann verharrte in seiner Ecke. Er konnte warten, das Fest am Abend würde ihm genug Gelegenheit bieten, mehr über Philipps Politik zu erfahren. Plante er wieder einen Waffengang gegen die jungfräuliche Engländerin Elisabeth, die frech die Hugenotten in Frankreich unterstützte und auch den vom Ketzertum infizierten Niederländern Hilfe im Kampf gegen ihre spanischen Herrscher gewährte? Wenn ja, so konnte dies eine erneute Handelssperre zwischen den Niederlanden und England bedeuten. Das spanisch regierte Antwerpen, die satte Stadt an der Scheide, wäre wieder einmal blockiert für den Warentausch zwischen Flandern, London und Köln. Arndt van Geldern fürchtete eine solche Behinderung, die ihn in ernsthafte Schwierigkeiten bringen würde. Sein Handel hing seit beinahe zehn Jahren ganz von den Nordländern ab. Die Zeiten, in denen er selbst den Rheinstrom hinauf- und hinuntergefahren war, die Alpen überquert oder die Seeroute nach Portugal gewagt hatte, um venezianischen Samt und indische Gewürze einzukaufen, waren vorbei. Jahre, die angefüllt waren mit Wagnissen, Glücksstreichen, Niederlagen, ertragreichem Handel und dem bedauerlichen Sieg der südländischen Kaufleute über ihre Konkurrenz aus dem Norden. Nun wollte van Geldern – in seinem Kölner Kontor residierend – die Ernte einfahren, deren Saat er in den Niederlanden und England ausgebracht hatte. Doch das elende Gezänk um Religion und Freiheit des Gewissens, wie die törichten Flamen es nannten, drohte die Ernte zu verderben. König Philipp würde es nicht dulden, daß seine Niederländer endgültig der Ketzerpest anheimfielen, eher würde er das ganze Land verbrennen.
    Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete der Kaufmann die in bunte Seidenmäntel und Paradeuniformen gekleideten Spanier. Sie nippten mit unbewegten Mienen an ihren Silberbechern und suchten fröstelnd die Nähe der Kohlebecken. Eifrig fachten die Ratsdiener die Glut an. Der Kellermeister verehrte Don Cristobal mit zierlicher Geste vier Fässer des besten Ratsweins aus Bacharach und versprach, sie auf sein Schiff bringen zu lassen.
    Kein Zweifel, dem Rat lag viel an Ruhe und Handelsfreiheit des niederländischen Umschlagplatzes für englische Tuche, rheinische Weine, Getreide, Fisch, kölnischen Waffenstahl, exotische Spezereien und alle anderen Köstlichkeiten dieser Welt. Flandern und Brabant waren das Herz des kölnischen
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