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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Autoren: Hannes Wertheim
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Haustoren.«
    Columba nestelte ein Samtband unter ihrem Mieder hervor, an dem eine silberne, fein ziselierte Kugel baumelte. »Ich trage meinen Riechapfel bei mir, und der Frost bannt die pestilenzischen Dämpfe. Seit dem Dreikönigstag gab es keine Opfer mehr. Der Schwarze Tod hat seine Ernte eingefahren.« Eine stattliche Ernte. Auf jedes der vierundzwanzigtausend Kölner Häuser, hieß es, kam ein Toter.
    »Was, was«, schimpfte daher Mertgin, »erst gestern hörte ich, daß ein Kupferdreher aus der Schmiedegasse selbst Maß nahm für seinen Sarg. Die Pest ist ihm in die Lunge geschossen, bald stirbt es wieder schlimm zu Köln. Die Muhme Oligschläger sah auch den schwarzen Hund auf den Dächern spazieren, der Teufel ist unter uns.«
    Ihr Schützling wandte sich verächtlich schnaubend ab. »Die Oligschläger ist eine alte Vettel, der der Dachstuhl verrückt ist. Eine Wichtigtuerin, die überall die Hexen ins Feld pinkeln sieht, um Regenschauer auf längst verfaulte Ernten herabzuziehen. Übles Geschwätz.«
    »Ihr wißt nicht wovon Ihr sprecht«, meinte Mertgin kopfschüttelnd. »Ihr seid so jung und unerfahren, wenn es um die Welt geht. Satan sitzt überall.«
    Columba schritt achselzuckend zur Tür.
    Mertgin richtete sich behende auf, um ihr den Weg zu versperren. Columba war schneller, riß die Tür auf, schlüpfte durch den Spalt und schlug sie zu. Von außen legte sie den Riegel vor, und Mertgin blieb nichts übrig, als ihre Gefangenschaft laut krakeelend kundzutun. Der schwere Gobelin vor der Tür, der den zugigen Wind des Winters abhielt, erstickte ihre Stimme wie eine verwehende Kerzenflamme. »Tod« war das letzte Wort, das an Columbas Ohr drang. Sie lachte. Mertgin würde genug Zeit haben, den goldenen Brokat zu suchen, bevor sie selbst gesucht und gefunden würde.
    Mit leisen Schritten eilte ihr Schützling über die wachsduftenden Dielen der oberen Galerie. Vorbei an dem verlassenen Schlafgemach der Mutter – Gott hab sie selig –, in dem diese nur wenige Stunden nach Columbas Geburt den letzten Atemzug getan und ihre Seele Gott anbefohlen hatte. Eine geweihte Kerze der Ursulinerinnen in der Rechten, das Kruzifix in der Linken und eine Lache verdorbenen, klumpenden Bluts trocknete zwischen ihren Schenkeln. Sie war achtundzwanzig Jahre alt geworden, ihr Körper erschöpft von der Zeugungskraft des Gatten und neun Geburten, drei verfehlten, drei unglücklichen mit toter Frucht, zwei glücklichen und einer für sie tödlichen – Columbas.
    Die hielt nun den Atem an. Das Zimmer der Schwester lag vor ihr, und die Tür stand offen, die weich gezupften, schwebenden Töne ihres Lautenspiels verrieten es.
    Juliana war ein neugieriges, träges Geschöpf, süchtig nach Klatsch und den Geheimnissen anderer. Columba kannte sie als geübte Denunziantin mit blauen, schrägstehenden Lammaugen, die ihre Seligkeit darin fand, andere zu bezichtigen und zu verraten. Sei es aus Langeweile, aus bösartigem Vergnügen oder um von eigenen Verfehlungen abzulenken. Vom Schöpfer mit Schönheit und vom Vater mit Geschenken und Komplimenten verwöhnt, nie dazu angeleitet, einer anspruchsvollen Beschäftigung nachzugehen, war sie zu einer hohlen Puppe verkommen. Ihre leere Seele neigte zu Neid und Mißgunst, wenn sie funkelnde Lebenslust in den Augen anderer wahrnahm.
    Columba mußte an ihr vorbei, um die Treppe zu erreichen. Wie ein Kind, das hofft, nicht entdeckt zu werden, sog sie lautlos die Luft ein, hielt den Atem in ihren Lungen fest und kniff die Augen zu. Auf Zehenspitzen schlich sie sich an, um mit einem beherzten Sprung die Türöffnung zu passieren. Als flinker Schatten wollte sie entkommen. Sie setzte an und wurde entdeckt.
    »Columba!« Der strenge Klang der Stimme verdarb den letzten Lautenton.
    Die Angerufene erstarrte im äußersten Winkel der Türöffnung und warf einen wütenden Blick durch den zurückgeschlagenen Gobelin. Juliana saß mit gelöstem Haar und Mieder auf einer gepolsterten Truhe, die Laute ruhte wie eine hölzerne Birnenhälfte in ihrem Schoß. Notenblätter entfalteten sich zu ihren Füßen wie ein keusches Gesangbuch. Melina, ihre schwarze Zofe – ein großzügiges Geschenk des Vaters von einer Reise nach Venedig –, stand in ihrem Rücken und kämmte hingebungsvoll ihr Haar. Elfenbein und Ebenholz. Der Kontrast zwischen den beiden jungen Frauen hätte jeden Maler gereizt und viele Männer lüstern gemacht.
    Fürwahr, Juliana war ein Engel. Wie süßer Rahm glänzte das schwellende Fleisch
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