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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Autoren: Hannes Wertheim
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parfümiert werden.«
    Columba zerrte trotzig schweigend einen wollschwarzen Umhang von zweifelhafter Sauberkeit aus einer Truhe unter ihrem Bett.
    »Ihr bleibt«, befahl die Zofe im panisch scharfen Ton der Untergebenen, die einem noch höheren Herrn Rechenschaft schuldig ist.
    Columba trat an die Tür und warf den Umhang über.
    »Wie eine Vogelscheuche seht Ihr aus.« Die Stimme der Magd schraubte sich krächzend in lächerliche Höhen. Columba warf ihr einen halb mitleidigen, halb frechen Blick zu. Mertgin wußte es nicht besser. Die Ehre des Hauses war ihr Credo und ihr Sanctus, ihre Morgenandacht und ihr Abendgebet. Das verblühte Weiblein, das nie im Besitz von Anmut oder – was mehr zählte – genügend Brautgroschen gewesen war, liebte die Sippe van Geldern abgöttisch. Da sie Columba zugeteilt war, war Columba der Mensch, in dem sie ihre Erfüllung, ihren Ausdruck suchte. Fanatisch wie ihre Liebe war, scheute sie auch vor Kränkungen nicht zurück. Wo der geliebte Schützling nicht dem hehren Bilde glich, das Mertgin sich von ihr machte, war sie unbarmherzig.
    Aber nein, eine Vogelscheuche war Columba nicht, eher ein wilder, ungezähmter Vogel. Schwarz wie Rabenschwingen schimmerte ihr schweres Haar unter der weinroten Samtkappe, die sie sich nun überstülpte. Vergnügt blitzten die haselnußfarbenen Augen, und ihr breiter Mund hob sich zu einem verächtlichen Lächeln. Verachtung war die letzte Antwort auf die erstickende Fürsorge dieser Magd.
    Alles war groß und ausdrucksvoll in Columbas Gesicht, wenn auch nicht schön. Zu dunkel, urteilten die Anbeter der blonden Venus Juliana, ihrer Schwester. Zu dunkel, dachten die mächtigen und reichen jungen Freier argwöhnisch, um die ihr Vater sich beständig bemühte. Zu dunkel, warnte selbst der Beichtvater des Hauses van Geldern und roch die Sünde, sah den lockenden Teufel im goldenen Blick der Achtzehnjährigen. Kein Zweifel, zu dunkel, dunkel wie die Nacht der Ungläubigen, wie der Schatten Satans, der auch Köln von Zeit zu Zeit verdüsterte.
    Zu aufsässig, das war es, was ihr Vater manchmal bei sich dachte, während er mühsam das Gefühl unsinniger Zuneigung zu seiner Jüngsten niederkämpfte. Gefühle störten das Geschäft. Leidenschaften waren ein Luxus, der jeden Gewinn verderben konnte. Den einer vernünftigen Ehe zum Beispiel. Zu aufsässig, zu keck, zu vorwitzig, das war Columba. Ihr fehlte die Zucht. Wäre sie ein Sohn, Arndt van Geldern hätte sich keinen besseren wünschen mögen, zumal Melchior, sein einziger männlicher Nachkomme, verloren war, kaum noch eine Erinnerung, verschollen bei einer Seefahrt in die Neue Welt, ein unglückseliger Glücksucher auf den Spuren des Silberschatzes von Peru.
    Als Opfer seiner Leidenschaft für Abenteuer hatte er die Handelsvertretung seines Vaters in Lissabon jäh und heimlich verlassen, überdrüssig der Zahlenkolonnen, der Rechnungsbücher, der gelben Akten, kaum begabt für das besonnene Geschäft des Bankiers und Händlers. »In den Kolonien verdienst du in einem Monat mehr als hier in einem Jahr«, hatten ihm die Werber der Kauffahrteischiffe zugeraunt. Mit ihm war nicht mehr zu rechnen.
    Columba hingegen handhabte schon als Kind das Rechenbrett im Kölner Kontor des Kaufmanns flink wie sein bester Gehilfe, begriff später im Spiel die Gesetze von Zinsfuß, Schuldbrief und Verschreibung, fuhr mit dem Finger auf den knisternden Landkarten eines Mercator die Handelswege quer durch Europa nach. Kaum daß sie zehn Jahre alt war, wußte sie eine Galeone von einer Karacke zu unterscheiden. All das ginge an, denn auch Töchter konnte man im Geschäft gebrauchen, müßte man nicht in diesem Falle den Verdacht hegen, daß Columba sich manchmal an Deck eines Kauffahrteischiffes träumte – hinaus, nur hinaus.
    Columba öffnete die Tür. »Die Tante Rebecca verlangt mich zu sehen«, log sie. »Ich soll ihr helfen, einen gestickten Seidenmantel aus ihrer Webstube als Geschenk für unseren heutigen Gast, den Gesandten, auszuwählen, und ein Geschenk für Seine Heiligkeit den Papst selber.«
    »Torheiten, elende Lügenmärchen«, schnaubte Mertgin.
    »Eine Torheit, dem Heiligen Vater zu Rom ein Chortuch zu verehren? Aber Mertgin, das aus deinem Munde!« scherzte Columba boshaft.
    Die Magd überging die Frechheit. »Nichts habt Ihr auf den Gassen zu suchen, denkt an den Skandal im letzten Sommer, Eure unvorsichtige Dummheit im Weingarten Eures Vaters. Außerdem hängen überall noch die Pestzettel an den
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