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Die Verwandlung

Die Verwandlung

Titel: Die Verwandlung
Autoren: J. M. Sampson
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Box und begann, mich abzuschminken. Ich musste richtig rubbeln, denn ich war so dick geschminkt, dass mir die Grundierung von den Wangen abblätterte und der Kajal festklebte. Die Chemikalien, mit denen das Feuchttuch getränkt war, brannten mir dermaßen in den Augen, dass ich die Kontaktlinsen nicht länger tragen konnte. Ich ging ins Bad und nahm sie heraus. Als die Konturen meines Spiegelbilds unscharf wurden, erinnerte ich mich daran, wie mir während des Gesprächs mit Megan das Buch auf dem Boden verschwommen erschienen war– trotz meiner Kontaktlinsen. Als mir Megan von Emily Cooke erzählt hatte, war mir ganz schwindelig geworden, und ich hatte erst wieder klar sehen können, als ich begann, mich auch wieder normal zu fühlen. Das war schon bizarr. Ich ließ das Abschminken sein, setzte meine Brille auf und sah mich im Spiegel an. Abgesehen von den kurzen Shorts sah ich wieder aus wie ich selbst. Ich betrachtete mein Gesicht in dem mit Zahncreme bespritzten Spiegel. » Was geschieht mit dir? « , fragte ich mein Konterfei. » Du wirst doch nicht zu Dr. Jekyll und Mr. Hyde, oder? « Während ich mir auf die Lippe biss, dachte ich über das nach, was geschehen war. Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war, dass ich gegen das Kopfende gelehnt auf dem Bett gesessen und in meinem Buch gelesen hatte. Und dann… Alles von diesem Moment an bis zu Megans Anruf lag wie hinter einem dichten Schleier verborgen. Mein Schlafzimmer war mir so winzig und stickig vorgekommen, während mir draußen alles so weit und offen, so lebhaft und interessant erschienen war. Ich hatte einfach hinausgehen müssen, um… was genau zu tun? » Was wolltest du tun? « , fragte ich mich selbst. Mein Spiegelbild stand mir ganz still gegenüber– es war ebenso ratlos wie ich.

2
    Es hätte ebenso mich treffen können
    Am nächsten Morgen hatte ich Emily Cooke völlig vergessen. Die unheimliche Begegnung mit der eigenen zweiten Persönlichkeit beschäftigt einen für gewöhnlich, und so raubte diese dem ersten Schultag irgendwie seine Bedeutung.
    Megan holte mich mit ihrer alten Rostlaube ab und fluchte den gesamten Schulweg über– sei es über ihr Auto, die anderen Autos, alte Leute, die die Straße überquerten, die grelle Morgensonne, die näselnde Stimme des DJ s im Radio und so weiter und so fort. Die frühe Morgenstunde war nicht gerade Megans bevorzugte Tageszeit.
    In der Schule ging alles seinen gewohnten Gang, ebenso wie letztes Jahr und im Jahr davor. In eng anliegenden schwarzen Jeans, schwarzer Tunika und schwarzer Sonnenbrille stürmte Megan durch das Schulgebäude. Ihr blondes Haar reichte ihr bis zu den Hüften, und sie streifte mich jedes Mal damit, wenn sie ihren Kopf hin- und herwarf, um zu sehen, ob es irgendjemand wagte, sie anzusprechen.
    Ich hingegen schlurfte zusammengekauert neben ihr her und starrte dabei kontinuierlich auf den Stundenplan in meiner Hand. Ab und zu blickte ich von den grünen Bodenfliesen auf, um mich zu vergewissern, dass ich nicht mit irgendetwas oder irgendjemandem zusammenstieß. Ansonsten tat ich mein Möglichstes, um neben Megan nicht aufzufallen, und überließ es ihr, auf den Rest der Welt wütend genug für uns beide zu sein.
    Dieses Jahr hatten Megan und ich die erste Stunde im selben Klassenzimmer. Unsere Mathematiklehrerin Ms. Nguyen unterrichtete tagsüber, während sie nachts auf einem lokalen Sender eine vietnamesische Talkshow moderierte.
    Ich hatte einen Fensterplatz weiter hinten, und Megan saß neben mir. Die restliche Klasse war laut und lachte: Die Mädchen– alle mit Spaghettiträger-Tops, engen Jeans und glänzenden Haaren– standen in kleinen Grüppchen zusammen und waren wegen irgendetwas völlig aus dem Häuschen, während sich die Jungs wie üblich wie Volltrottel benahmen. Sie alle schienen einer Seifenoper entsprungen zu sein– einem nicht realen Leben, in dem sich jeder mit jedem verabredet, um anschließend ein riesengroßes Theater darum zu machen, einem aufregenden Wunderland, in dem eine Sprache gesprochen wurde, die ich nicht einmal annähernd verstand.
    Natürlich gab es auch ein paar vereinzelte Streber– ein kleines Mädchen mit lockigem Haar und einer Brille aus Drahtgestell, das zitternd dastand, als würde es frieren, ein pummeliger Junge mit einem unmöglich gemusterten Hemd, der in der Nähe der Tür verharrte und seinen unregelmäßig wuchernden Oberlippen-Flaum zur Schau stellte.
    Und Megan, die mit verschränkten Armen zur Decke blickte und mit
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