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Die Verwandlung

Die Verwandlung

Titel: Die Verwandlung
Autoren: J. M. Sampson
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« , sagte sie. » Toll, wie du aussiehst… «
    Ich stand auf und versuchte ihren spöttischen Gesichtsausdruck zu ignorieren. Sie musterte das offene Fenster mit den blassgelben Vorhängen, die in der Abendbrise wehten.
    » Gehst du irgendwohin? « , fragte sie.
    Ich zögerte, weil ich mir selbst nicht erklären konnte, was geschehen war. Was war in mir vorgegangen? Warum hatte ich hinunterspringen und umherlaufen wollen? Wie hatte ich auch nur daran denken können, ausgerechnet bei Megan nicht ans Telefon zu gehen? Das ergab keinen Sinn, so etwas würde ich doch niemals tun. Zitternd stand ich in dem irrwitzig kalten Luftzug. Schließlich zog ich das Fenster zu und drückte die Klinke nach unten.
    Dawn schloss die Tür und kam zu mir herüber. » Du hast dir nicht zufällig den Kopf gestoßen oder so? « Sie bückte sich und hob, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, den Schreibtischstuhl wieder auf. » Jetzt, wo du es gerade heraushast, dich wie ein Boxenluder anzuziehen, wäre es doch schade, den ersten Schultag wegen einer Gehirnerschütterung zu verpassen. «
    » Nein « , murmelte ich, » mir geht’s gut. Es ist nur… Emily ist tot. «
    » Soll das etwa eine Metapher sein? Wie die alte Emily ist tot und dies hier « , Dawn deutete auf meine Kleidung, » ist die neue Emily? Ganz schön abgedreht. «
    Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Dawn meinte– dann blickte ich auf meinen Ausschnitt, meinen sehr tiefen Ausschnitt. Ich drehte mich zu dem Spiegel neben dem offenen Kleiderschrank um und betrachtete mich darin: knappe Shorts, ein viel zu enges T-Shirt, eine auf die Schultern fallende braune Mähne, keine Brille und Unmengen von Make-up. Mit den knallroten Lippen und den stark geschminkten Augen sah ich aus, als wollte ich gerade meine Schicht im örtlichen Bordell antreten. » Was zum… « Schnell bedeckte ich meine Brust mit den Armen. » Wie… wie sehe ich denn aus? « So hatte ich mich noch nie angezogen, nicht ein einziges Mal. Der Tag, an dem sich bei mir als Erste in meiner Klasse Brüste und Hüften entwickelt hatten, war der Tag gewesen, an dem ich gelernt hatte, wie es sich anfühlte, von allen angestarrt zu werden, ohne dabei ihre Gedanken erraten zu können. Ich fragte mich, ob sie diese Beulen und Wölbungen ebenso hässlich fanden wie ich, und schämte mich, wenn die anderen auf mich deuteten, hinter vorgehaltenen Händen kicherten und sich jene Körperteile rieben, von denen man in der Öffentlichkeit besser die Finger lassen sollte. Ein tiefer Ausschnitt gehörte deshalb nicht gerade zu meiner Standardausstattung.
    Dawn sah mich verwirrt an, und ich versuchte, so zu tun, als ließen mich ihre Blicke kalt. » Ich war gerade dabei, das Fenster aufzumachen, als Megan anrief. Sie wollte sichergehen, dass es mir gut geht, weil heute ein anderes Mädchen namens Emily gefunden wurde. Ich meine, tot. Sie wurde nicht weit von hier erschossen. «
    » O nein « , sagte Dawn. Sie saß auf meinem Bett, griff nach dem Plüschhund, der am Kopfende saß, und setzte ihn auf ihren Schoß. » Das macht einem richtig Angst. Wie traurig. Kanntest du sie? «
    » Eigentlich nicht besonders « , meinte ich. » Sie war Emily C. und ich war Emily W., und das in jeder Klasse, aber das war’s dann auch. Wir haben– hatten– nichts gemeinsam. «
    Dawn hielt den ausgestopften Plüschhund in die Höhe. » Sie hatte also keinen Snoopy? «
    » Ich glaube, sie interessierte sich eher für Klamotten und solchen Kram. « Ich schüttelte den Kopf. » Ich kann’s nicht fassen. Emily Cooke… «
    » Das ist so traurig « , beteuerte Dawn noch einmal. Sie stand da und platzierte Snoopy auf meiner zerknitterten Bettdecke. » Ems, wenn in der Nachbarschaft gerade jemand erschossen wurde, ist das vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, um hinauszugehen. Wer immer es war, könnte noch da draußen sein. «
    » Okay, Hinausgehen ist für mich gestrichen. Draußen gefällt es mir ja nicht einmal. Ich weiß selbst nicht, was… « Ich verstummte, als ich mich erneut betrachtete. Was auch immer mich dazu getrieben hatte, beinahe aus meinem Fenster im verdammten zweiten Stock zu klettern, war längst verflogen. Ich fühlte mich wieder völlig normal. Ich ging Richtung Schrank und arbeitete mich durch den Haufen schmutziger Wäsche auf dem Boden, bis ich das gammelige Kapuzenshirt mit der Aufschrift » University oft Washington « fand, das ich gewöhnlich zu Hause trug. Ich schlüpfte hinein und war wieder so verhüllt,
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