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Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Autoren: Heinrich Böll
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gehabt, zu tanzen. Daraufhin
    habe Frau Dr. Blorna zu ihr gesagt: »Warte nur, Kathrinchen, wenn wir zurück
    sind, geben wir mal wieder ’ne Party, dann kannst du auch wieder tanzen.«
    Seitdem sie in der Stadt war, seit fünf oder sechs Jahren, hatte Katharina sich
    immer wieder über die nicht vorhandenen Möglichkeiten, »mal einfach irgendwo
    tanzen zu gehen«, beklagt. Da gab es, wie sie Blornas erzählte, diese Buden, in
    denen eigentlich nur verklemmte Studenten eine kostenlose Nutte suchen, dann
    gab es diese bohemeartigen Dinger, in denen es ihr ebenfalls zu wüst zuging, und
    konfessionelle Tanzveranstaltungen verabscheute sie geradezu.
    Am Mittwochnachmittag hatte Katharina, wie sich leicht ermitteln ließ, noch
    zwei Stunden bei dem Ehepaar Hiepertz gearbeitet, wo sie gelegentlich und auf
    Anfrage aushalf. Da die Hiepertz ebenfalls die Stadt während der Karnevalstage
    verließen und zu ihrer Tochter nach Lemgo fuhren, hatte Katharina die beiden
    alten Herrschaften noch in ihrem Volkswagen zum Bahnhof gebracht. Trotz
    erheblicher Parkschwierigkeiten hatte sie darauf bestanden, sie auch noch auf
    den Bahnsteig zu bringen und ihr Gepäck zu tragen. (»Nicht ums Geld, nein,
    für solche Gefälligkeiten dürfen wir ihr gar nichts anbieten, das würde sie tief
    kränken«, erläuterte Frau Hiepertz.) Der Zug war nachweislich um .o Uhr
    gefahren. Wenn man Katharina fünf bis zehn Minuten zubilligen wollte, um
    inmitten des beginnenden Karnevalsrummels ihren Wagen zu finden, weitere
    zwanzig oder gar fünfundzwanzig Minuten, um ihre außerhalb der Stadt in einem
    Wohnpark gelegene Wohnung zu erreichen, die sie also erst zwischen . und
    . Uhr betreten haben konnte, so blieb keine Minute ungedeckt, wenn man
    ihr gerechterweise zubilligen mochte, daß sie sich gewaschen, umgezogen,
    eine Kleinigkeit gegessen hatte, denn sie war schon gegen . Uhr bei Frau
    Woltersheim zur Party erschienen, nicht per Auto, sondern per Straßenbahn,
    und sie war weder als Beduinenfrau noch als Andalusierin verkleidet, sondern
    lediglich mit einer roten Nelke im Haar, in roten Strümpfen und Schuhen, in
    einer hochgeschlossenen Bluse aus honigfarbener Honanseide und einem
    gewöhnlichen Tweedrock von gleicher Farbe. Man mag es gleichgültig finden, ob
    Katharina mit ihrem Auto oder mit der Straßenbahn zur Party fuhr, es muß hier
    erwähnt werden, weil es im Laufe der Ermittlungen von erheblicher Bedeutung
    war.
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    Heinrich Böll
    Die verlorene Ehre der Katharina Blum
    9.
    Von dem Augenblick an, da sie die Woltersheimsche Wohnung betrat, wurden
    die Ermittlungen erleichtert, weil Katharina von . Uhr an, ohne es zu ahnen,
    unter polizeilicher Beobachtung stand. Den ganzen Abend über, von . bis
    . Uhr, bevor sie mit diesem die Wohnung verließ, hatte sie »ausschließlich
    und innig«, wie sie selber später aussagte, mit einem gewissen Ludwig Götten
    getanzt.
    10.
    Man sollte hier nicht vergessen, dem Staatsanwalt Peter Hach Dankbarkeit zu
    zollen, denn ihm einzig und allein verdankt man die an justizinternen Klatsch
    grenzende Mitteilung, daß Kriminalkommissar Erwin Beizmenne von dem
    Augenblick an, da die Blum mit Götten die Wohnung der Woltersheim verließ,
    die Telefone der Woltersheim und der Blum abhören ließ. Das geschah auf eine
    Weise, die man vielleicht der Mitteilung für wert halten mag. Beizmenne rief in
    solchen Fällen den dafür zuständigen Vorgesetzten an und sagte zu diesem: »Ich
    brauche mal wieder meine Zäpfchen. Diesmal zwei.«
    11.
    Offenbar hat Götten von Katharinas Wohnung aus nicht telefoniert. Jedenfalls
    wußte Hach nichts davon. Sicher ist, daß die Wohnung von Katharina streng
    überwacht wurde, und als bis . Uhr am Donnerstagmorgen weder
    telefoniert worden war, noch Götten die Wohnung verlassen hatte, drang man,
    da Beizmenne die Geduld und auch die Nerven zu verlieren begann, mit acht
    schwerbewaffneten Polizeibeamten in die Wohnung ein, stürmte sie regelrecht
    unter strengsten Vorsichtsmaßregeln, durchsuchte sie, fand aber Götten nicht
    mehr, lediglich die »äußerst entspannt, fast glücklich wirkende« Katharina, die
    an ihrer Küchenanrichte stand, wo sie aus einem großen Becher Kaffee trank
    und in eine mit Butter und Honig bestochene Scheibe Weißbrot biß. Sie machte
    sich insofern verdächtig, als sie nicht überrascht, sondern gelassen, »wenn nicht
    triumphierend« wirkte. Sie
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