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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen
Autoren: Bastei Lübbe
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Bildschirme. Es schien, als sichtete etwas methodisch und mit hoher Geschwindigkeit seine Dateien. Derzeit erblickte er das Layout seines Tagebuchs, obwohl die Worte so schnell vorbeizogen, dass er sie nicht lesen konnte. Als Nächstes rasten die Bilder all der Plastiken vorbei, die er gesammelt hatte, zusammen mit seinen Spekulationen darüber, was sie möglicherweise zu bedeuten hatten. Anscheinend als Reaktion darauf ertönte ein Zischen in seinem Kommunikator, begleitet von einem anderen Laut, der nach fernem Gelächter klang.
    »Kleiner Krötenmann«, sagte eine geisterhafte Stimme, perfekt verständlich und doch auf irgendeine Art und Weise erkennbar nicht die eines Menschen. Drache sprach mit ihm. »Erkennst du, wie ich in deiner Gestalt erneut lebe?«
    »Was machst du … Drache?«, fragte Chanter.
    »Ich mache mich bereit zu schlafen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ja.«
    »Warum hast du mein Fahrzeug gepackt?«, fragte Chanter, und als keine Antwort erfolgte, setzte er hinzu: »Ich bin keine Gefahr für dich.«
    »Nein.«
    Chanter wusste nicht recht, ob das ein Nein oder ein Ja war, aber andererseits dürfte ihn diese Ambivalenz nach einigen Dokumenten unter dem Titel »Drachendialoge«, in die er Einblick genommen hatte, auch nicht erstaunen.
    Die Datensuche endete, und das seismografische Display kehrte zurück. Der Tentakel hatte das Erd-Uboot inzwischen sehr nahe an den Hauptkörper herangezogen, holte es inzwischen aber nicht mehr weiter ein. Während unsichtbare Eisfinger über Chanters Rücken strichen, starrte er auf diese Puppen, diese Dinger, die sich aus Draches eigentlicher Substanz bildeten. Sie erinnerten leicht an Menschenkinder und sehr stark an Reptilien. Verspottete Drache ihn irgendwie? Hatte Drache erwartet, dass er, Chanter, kommen würde? Das war Wahnsinn.
    Unvermittelt lösten alle Pseudopodien außer einem ihren Griff um sein Fahrzeug, während das restliche Pseudopodium mit der Sensorenphalanx verknüpft blieb, über die Drache in sein Computersystem eingedrungen war. Chanter überlegte, ob er den Förderantrieb wieder einschalten sollte, aber er wusste, dass er nicht schnell genug fliehen konnte, um zu verhindern, dass er aufs Neue gepackt wurde. Er musste die Erlaubnis erhalten, sich zu entfernen, wenn er das hier überleben sollte.
    »Du hast die Laserstellungen vernichtet«, probierte er es.
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Die Frage, die du stellst.«
    »Ja, das ist die verdammte Frage, die ich stelle!«, entgegnete Chanter missmutig. »Ist dein Mangel an Klarheit ein Ausdruck enormer Intelligenz oder enormer Dummheit?« Die Worte waren ihm entwichen, ehe er sie zurückrufen konnte, und er zuckte zusammen. Ihm kam der Gedanke, dass die lange Isolation, die Jahre, in denen er mit niemandem außer seinen Maschinen gesprochen hatte, zu Lasten seines Urteilsvermögens gegangen waren, soweit es die Konversation anbetraf. Drache schien sich allerdings nicht um den Ausbruch zu kümmern.
    »Ich gehe jetzt«, sagte die Kreatur. »Ich zerfalle.«
    Und so war es. Auf dem Bildschirm löste sich die verbliebene Halbkugel dieses Teils von Gesamtdrache in diese einzelnen Zellen auf, die sich, während Chanter hinsah, schon aufblähten und zur Oberfläche hinaufstiegen.
    »Begib dich dorthin, kleiner Krötenmann.« Koordinaten erschienen auf einem der Bildschirme, präzise Koordinaten des Planeten Masada, in denen Chanter eine Stelle irgendwo in den Bergen erkannte – eine Gegend, die er mied, hätte sie es doch nötig gemacht, auf der Oberfläche zu reisen. »Oder krieche ohne Antworten im Schlamm herum.«
    Das letzte Pseudopodium schlenkerte verächtlich sein Erd-Uboot, und dann zog sich der gesamte Tentakel in die zerfallende Masse zurück, aber noch ehe er damit fertig geworden war, stockte er unvermittelt und zerbrach ebenfalls, als der lenkende Verstand verschwand – und, wie Chanter später herausfand, als einzelner Verstand zu bestehen aufhörte und in viele Verstandeseinheiten zerfiel.
    Chanter flüchtete so schnell von hier, wie er konnte, und das Chaos da oben sorgte dafür, dass er noch lange Zeit im Schlamm kroch. Gefährliche Dschainatechnik traf in Gestalt eines riesigen, von ihr übernommenen Polis-Schlachtschiffs ein, und es schien, als schwebte der ganze Planet in der Gefahr, vernichtet zu werden. Rebellenstreitkräfte kämpften gegen Soldaten der Theokratie, die in Zombiediener desjenigen verwandelt worden waren, der diese Dschainatechnik einsetzte, und diejenigen, die an der
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