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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens
Autoren: Tobias O. Meißner
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Sattel geschossen hatte. Überblick in Momenten, in denen alle überfordert waren. Nie würde Bhanu vergessen, wie Hellas seinen Anführer in Sicherheit gezogen hatte, als dieser leichtfertig Gefahr lief, niedergeritten zu werden. Kaltblütigkeit im Chaos. Hellas hatte begriffen, dass die Reiter flackerten, und den richtigen Augenblick abgewartet, um zu schießen und zu treffen. Bhanu selbst hatte mindestens zwanzigmal danebengeschossen und höchstens zweimal getroffen – peinliches, unfähiges Kind, das sie noch immer war!
    Und dann hatte Hellas Borgondi noch etwas Weiteres fertiggebracht: Er hatte seinen eigenen Anführer erschossen. Einen Mann, der ihm ein Freund gewesen war, der – so zumindest hatte es Bhanu wahrgenommen – vielleicht den einzigen Grund darstellte, den ein von sämtlicher Liebe im Stich gelassener Mensch wie Hellas Borgondi noch besaß, um überhaupt weiterzuleben.
    Er hatte ihn niederstrecken müssen, um frei zu werden. Frei von jeglicher Gefühlsbindung, Zugehörigkeit und Pflicht.
    Bhanu Hedji beneidete ihn um diese uneingeschränkte Freiheit und Größe. Sie wollte eine Frau werden, so eng umrissen und einzeln wie Hellas Borgondi.
    Nun fand man sie tagaus, tagein in der Nähe des Stelenfeldes, auf dem die Riesenkrieger gravitätisch miteinander rangen. Sie übte sich im Schießen, übte mit einer Beharrlichkeit und Ernsthaftigkeit wie noch niemals zuvor, weil sie früher immer nur auf ihr von den Göttern gegebenes Talent vertraut hatte. Sie übte das Schießen und Zielen auf unbewegliche Objekte und auch auf vom Wind bewegte oder von der Jahreszeit zu Boden gewirbelte Blätter, um Hellas Borgondi ebenbürtiger zu werden.
    Um ihm eines Tages in einem Duell auf Leben und Tod die abschließende und allumfassende Ehre erweisen zu können.
    Der Tod durch ihre bewusste, ruhige und verstehende Hand war das schönste und wertvollste Geschenk, welches Bhanu Hedji sich für einen Mann wie Hellas Borgondi vorstellen konnte.

    Die Ritterin trug bei den Riesen niemals ihren Helm.
    Der Gesichtsschutz mit dem klassisch modellierten Antlitz darauf war ein praktisches Utensil gewesen für das Leben als umherziehende, von zornigen Stadtgardisten verfolgte Banditin. Hier in den Höhlen jedoch war er absurd. Er beengte das Gesichtsfeld noch zusätzlich, ließ sie ungelenk und fahrig wirken und ihr in der Hitze rauschhaltigen Rauches mehrmals schier die Sinne schwinden.
    Die Riesen faszinierten die Ritterin. Obwohl sie eine Männergesellschaft waren. Aber sie hielten die wenigen Frauen, die ihnen noch verblieben waren, beinahe heilig. Selbst der Ritterin wurde es nur ein einziges Mal erlaubt, Riesenfrauen zu treffen und mit ihnen zu sprechen. Die Riesinnen waren weder besonders hübsch noch zartgliedrig, hatten vielmehr beinahe die selben wulstigwuchtigen Gesichter und Leiber wie die Männer, aber die Ritterin hatte noch niemals zuvor Frauen gesehen, die allen Ernstes doppelt so groß und breit wie Bhanu Hedji waren. Sie wirkten weise und milde und mächtig, und sie wollten die Ritterin dazu bewegen, ihre knappe Metallrüstung genauso abzulegen wie den Helm. Aber die Ritterin erklärte verlegen, dass sie sich nackt fühle ohne den Schutz von Metall am Leib. Man habe ja vor Kurzem erst gesehen, dass es nicht schaden könne, gerüstet zu sein, wenn Unbefugte in die Höhlen eindrängen.
    Nach ihren ruhigen Begegnungen im wandbemalten Frauenbereich des Höhlensystems war die Ritterin noch fester als bislang entschlossen, den Riesen beizustehen.
    Sie unterbreitete Klellureskan, dem Anführer der Krieger, einen Vorschlag: »Die Haarhändler nähern sich immer weiter euren Höhlen, werden immer frecher und ungeduldiger. Seraikella, der sich viel draußen aufhält, hat mir gestern von mehreren Sichtungen berichtet. Ich schlage vor, wir unternehmen einen Gegenangriff, um sie ein für alle Mal von der Idee abzubringen, Pilze sammelnde Riesen zu erlegen. Wenn dreißig Riesenkrieger durch das Unterholz brechen, ist dies ein Anblick, den kein zugereister Möchtegernjäger so ohne Weiteres verkraften wird.«
    Klellureskan lächelte. »Der Riese ist ohn’ Not nun. Das Zepter ist wieder bei ihm.«
    Â»Aber was tut es denn, dieses Zepter? Sogar Söldner wissen jetzt, wo es in eure Höhlen geht!«
    Â»Nichts werden sie wissen. Das Zepter verwirbelt die Pfade, biegt den Ort,
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