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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens
Autoren: Tobias O. Meißner
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hatte.
    Die Beerdigung war vorüber. Der Riesenkönig hatte ein paar Worte gesprochen, Seraikella hatte nicht zugehört. Erneut waren die Riesen weniger geworden, und die neu gewonnene Magie des Fliegenstabes würde noch Zeit brauchen, bis sie den wenigen noch verbliebenen Frauen Zwillinge und Drillinge als Nachwuchs schenken würde. Die Vergänglichkeit war den Riesen ein zu alltäglicher Begleiter, als dass man ihr noch mit großer Traurigkeit hätte begegnen können. Für Seraikella jedoch war Vergänglichkeit ein neues und niederschmetterndes Erlebnis.
    In diesen Tagen war er noch schweigsamer als ohnehin schon. Mehrmals hintereinander hatte er, dessen stets unbekleideter Oberkörper eine aus Tuschefarben gestaltete Landschaft war und dessen Breitschwert in dieser Landschaft das verdichtete Licht, nun in Gefechten versagt – zuerst gegen die Schemenreiter, wobei er seine tief reichenden Schnittwunden erhalten hatte, und nun erneut gegen diesen einzelnen Söldner, der ihn niedergestreckt hatte wie einen unerfahrenen Knaben. Die Landschaft war nun durch Narben entstellt, und Seraikella fühlte sich, als entspräche die Schändung des Bildes auch einer Zerstörung seiner Kraft, als sei er nun der Aufgabe, seine schöne Ritterin vor der Welt zu beschützen, nicht mehr gewachsen. Er begab sich abseits von den anderen in die tiefen und schattigen Schluchten der Riesengebiete und meditierte an Gebirgsbächen, unter nächtlichen Schwärmen von Fledersalamandern, im unheimlichen Wispern des Mondes und dem Fallen bunter Blätter vor dem Winter.
    Er suchte sich selbst, seine Klarheit, sein eigenes Bild.
    Das Bild war einfach gewesen, schwarz und weiß in schattierten Abstufungen, bevor das Rot seines Leibes es verunreinigt hatte.
    Nun saß er inmitten von strahlend herbstlichen Farben und fragte sich, ob dies nicht die vollkommen falsche Jahreszeit war, um zur Ruhe zu finden.

    Jeron MeLeil Gabria dagegen gelangte langsam wieder zu sich. Seine beiden Degen waren ihm zwar von einem Schemenreiter zerbrochen worden, aber er beschloss, die Klingenruinen einfach weiterhin als Waffen zu führen.
    Â»Was hältst du davon?«, fragte er Bhanu Hedji, während er vor ihrem Gesicht mit den Klingen herumwirbelte. »Erzählen sie nicht eine hübsche Geschichte? Die Geschichte einer Ehrenschuld, die noch nicht beglichen ist? Was sagst du, Bhanu, hm? Verleihen mir diese geborstenen Klingen nicht die tragische Aura von einem, der sich bereits Übermenschlichem entgegengestellt hat, unterlegen war, aber dennoch überdauerte?«
    Schnaubend wandte sie sich ab und ging davon, aber das Lächeln auf seinen Lippen konnte auch das nicht vertreiben.
    Noch immer bedurfte Jeron zweier Krücken als Gehhilfe, noch immer schlurfte er herum wie ein Zerrbild seiner selbst. Mitten durch den Leib war ihm die durchsichtig flimmernde Klinge eines Schemens gestoßen worden und hatte alles durcheinandergebracht. Bei manchen Bewegungen hatte Jeron noch immer das Gefühl, in zwei oder mehr Teile auseinanderbrechen zu müssen, wenn er jetzt nicht sehr genau achtgab. Bis in seine Träume hinein verfolgte ihn dieser schreckliche, flackernd uneindeutige Hieb. Jeron erinnerte sich lebhaft daran, wie er mit Rodraeg, dem Anführer der kleinen Gruppe, die sich das Mammut nannte, Seite an Seite gegen einen dieser geisterhaften Reiter gefochten hatte. Das Ende dieses Kampfes hatte Jeron nicht mehr bewusst mitbekommen.
    Aber er lebte. Er besaß die Freundschaft von Riesen. Mit ihren Pilzen, ihrem Rauch, ihren Moospackungen, heißen Schneckenhäusern, Laubauflagen, Käferzangen und Wurzelsalben heilten sie seinen Leib und ordneten sein Inneres wieder so an, dass Jeron mit sich selbst wieder zurechtkam.
    Rodraeg, der Anführer des Mammuts ,war von einem seiner eigenen Leute erschossen worden, doch die Bande der Ritterin war immer noch intakt, vollständig und – dank der Bernsteine, welche die Riesen für ihre Dienste zu zahlen bereit waren – in absehbarer Zeit sogar wohlhabend.

    Bhanu Hedji fühlte diese eigenartige Hingezogenheit zu einem Mann, der bereits vor zwei Wochen aus ihrem Leben verschwunden war.
    Ein Bogenschütze wie sie, hämisch und grausam.
    Aber er hatte ihr Dinge vorausgehabt.
    Furchtlosigkeit im Angesicht eines heranstürmenden berittenen Geisterfeindes. Nie würde Bhanu vergessen, wie Hellas Borgondi den einen Schemenreiter aus dem
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