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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte
Autoren: Nina Blazon
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seiner Bettstatt geschmiegt – und jetzt spürte er Schnurrhaare über seine Wange streichen.
    Er blinzelte und schlug die Augen auf. Im Mondlicht, das durch die schmale Fensterluke des Gesinderaums drang, leuchteten Nekis Augen. Die Wirtshauskatze maunzte und gähnte herzhaft. Ihr langer Schwanz strich über Tobbs’ Hand.
    »Oh nein, habe ich etwa verschlafen?«, murmelte Tobbs. Neki maunzte wieder und sprang von der Ofenbank. Es gab ein dumpfes Geräusch, als wäre ein schwerer Kartoffelsack auf den Boden gefallen. Tobbs hörte stampfende Pfoten. Neki war tatsächlich die einzige Katze, die stampfte. Mit ihrem Gewicht blieb ihr auch nichts anderes übrig.
    Tobbs schoss hoch und fuhr sich durch die Haare. Im Dunkeln sprang er von der Ofenbank und rannte zu dem Stuhl, auf dem seine graue Wolljacke lag. Die Umrisse seiner Holzfiguren zeichneten sich vor der Wand ab. Tobbs wusste genau, welche Figur an welcher Stelle stand. Es waren immer zwei Figuren – Paare. An den Abenden, an denen Tobbs darüber nachgrübelte, wo seine Eltern sein könnten, schnitzte er sie. Mal waren es Tajumeeren, mal Sylvanier, Rusaner, Tobiten oder Menschen aus ganz anderen Ländern. Wann immer Wanja in einem der Türenländer auf Reisen war, brachte sie ihm ein kleines Souvenir mit: ein kleines Stück Stoff für die Kleider, eine Muschel für den Kopfschmuck des Tajumeeren-Mannes oder eine kleine Harpunenspitze für dessen Frau. Zweiundvierzig Figuren waren im Laufe seines Lebens entstanden und Tobbs liebte sie so sehr, als seien sie lebendige Menschen. In gewisser Weise waren sie das auch: seine hölzerne Familie. Umso aufgeregter war er bei dem Gedanken, dass er morgen endlich erfahren würde, welche zwei Figuren ganz und gar zu ihm gehörten. Im Hinausgehen streckte er die Hand aus, strich kurz über die beiden in schwarzen Filz gehüllten Holzfiguren aus Tinadin und huschte aus seinem Zimmer.
    In der Küche herrschte bereits Betrieb, die dröhnenden Stimmen der Köche hallten in den Fluren. Im großen Festsaal standen drei Mädchen, die Dopoulos als Aushilfen aus der Stadt geholt hatte, und hörten sich die letzten Anweisungen des Wirtes an.
    »Den Dämonen auf gar keinen Fall in die Augen schauen«, sagte er mit Nachdruck. »Keine Diskussionen mit den Dämonenfrauen zum Thema Leben, Tod und Liebe. Und bitte: keine Wetten! Die richtige Anrede für die Herrschaften Dämonen lautet: ›Ihro Olitai‹, am besten verbunden mit einem sehr höflichen ›Sehr wohl‹ oder ›Natürlich sofort‹. Und vergesst nicht: Keinesfalls zum Tanz auffordern lassen. Verstanden?«
    Die Mädchen kicherten und nickten. Dopoulos seufzte und sah sich nach Tobbs um. Tobbs konnte sich keinen Reim darauf machen, woher der Wirt immer genau wusste, ob sein Schankjunge in der Nähe war.
    »Ah! Da bist du ja! Da drüben steht dein Tisch. Auch für dich gilt: keine Wetten, kein Tanz und weg von der Braut! Ansonsten pass einfach gut auf, dass sich niemand aus dem Raum schleicht und irgendwelche Dummheiten anstellt.«
    Tobbs warf einen wenig begeisterten Blick zum Kindertisch. »Ich habe schon verstanden!«, entgegnete er. Neki war herangeschnurrt und strich an seinen Beinen entlang. Ihr herzförmiges Gesicht grinste zu ihm herauf. Das Fell der großen Katze war dreifarbig – rot und weiß und schwarz – und über Augen und Nase hatte sie einen Fleck, der wie eine schwarze Maske wirkte. Gerade wollte Tobbs sich zu ihr hinunterbeugen, als ein Donnerschlag den Raum erschütterte. Dopoulos klatschte nervös in die Hände und griff nach seinem Schlüsselbund. »Die Dämonen sind hier!«, rief er. »Es geht los!«
    Tobbs stand hinter einem der Stühle am Kindertisch und hielt sich an der Lehne fest. Er hatte schon den einen oder anderen Dämon gesehen, aber der Anblick, der sich ihm nun bot, machte ihn schwindlig.
    Die Braut trug ein Gewand aus grünem Schlangenleder, das an manchen Stellen mit ihrer Haut verwachsen schien. Gefahr umhüllte sie wie ein schimmernder Schleier.
    Ihr Kopf war kahl und ihre grünen Augen hatten keine Pupillen, dennoch war sie schöner als alle Frauen, die Tobbs je gesehen hatte. Der Bräutigam hatte einen Wolfskopf und trug an seinem Gürtel ein schrecklich anzusehendes Richtschwert.
    Das Rauschen von Schwingen erfüllte den Saal, als sich einige geflügelte Dämonenfrauen ganz am Ende des Tisches niederließen. Mehrere Hunde sprangen auf die Stühle und verwandelten sich dort in finster dreinblickende Kreaturen, halb Mensch, halb
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