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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte
Autoren: Nina Blazon
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sich darunter verbarg – aber jeder, dem sein Glück lieb war, würde sich davor hüten, Anguana zu verspotten. Warum auch? Im Grunde war sie einfach nur ein nettes Mädchen – und, wenn man es genau nahm, sogar hübsch. Wenn sie nur nicht jedes Mal so große, ängstliche Augen bekäme, sobald Tobbs ihr über den Weg lief! Und das passierte nicht gerade selten. Seit einigen Tagen hatte Tobbs das Gefühl, dass er kaum einen Schritt machen konnte, ohne dass Anguana wie durch Zauberei neben oder hinter ihm auftauchte und versuchte, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Dabei lief sie jedes Mal rot an und begann zu stottern. Tobbs wusste, dass Anguana aus keinem der Türenländer stammte, sondern aus den Bergen südlich der Stadt kam. Und er wusste auch, dass die Menschen dort Wesen wie sie entweder sehr liebten oder sehr hassten. Tobbs liebte sie nicht und hasste sie nicht – sie ging ihm nur auf die Nerven.
    »Du weißt, dass es Glück bringt, wenn … jemand wie ich einen Glückwunsch ausspricht?«, fragte sie leise.
    Tobbs fuhr sich nervös durch das Haar. »Ja … danke. Glück kann ich immer gebrauchen.«
    »Du hast es nun«, sagte Anguana ernst. »Verschwende es nicht. Das hier ist Anguanas besonderes Geschenk.« Vorsichtig klappte sie die Hände auseinander. Tobbs blickte Hilfe suchend über ihre Schulter.
    Auf dem Hof stand Wanja in ihrer ledernen Schmiedeschürze und beschlug ein Pferd. Doch sie machte keine Anstalten, Tobbs beizustehen, stattdessen zuckte sie nur die Schultern und beugte sich wieder über den Huf, den sie gerade für das Eisen zurechtschnitt.
    Tobbs seufzte und sah sich endlich das weiße Ding in Anguanas Händen an.
    »Oh … danke«, sagte er und versuchte, erfreut auszusehen. »Das ist ein schöner … äh … Spinnenkokon?«
    Anguana lächelte geheimnisvoll. »Schau doch hinein!« Vorsichtig ließ sie das seltsame Geschenk auf Tobbs’ Handfläche rollen.
    Tobbs hielt sich den Kokon vor die Nase und drehte ihn hin und her. »Da ist ein blauer Faden drin.«
    »Garn!«, rief Anguana. »Garn, das niemals ausgeht! Ich habe es selbst gesponnen. Da, wo ich herkomme, ist es das Schönste, was ein Mensch bekommen kann. Freust du dich?«
    Tobbs gab sich geschlagen und schenkte ihr das Lächeln, auf das sie so lange gewartet hatte.
    »Ja, sicher«, sagte er. »Es ist sehr … äh … nützlich. Danke!«
    Endlich richtete sich Wanja auf und winkte ihn zu sich heran.
    »He, Tobbs! Komm mal her, ich brauche deine Hilfe. Entschuldige, Anguana. Wir haben es heute eilig.«
    Anguana zuckte zusammen. »Natürlich«, murmelte sie. »Wir sehen uns bestimmt später noch.« Und mit einem Mut, den Tobbs ihr nie zugetraut hätte, umarmte sie ihn zum Abschied und rannte durch die Hintertür ins Wirtshaus. Verdutzt sah Tobbs ihr nach. Auf dem schlammigen Boden, der von den Regenfällen der letzten Tage durchweicht war, zeichneten sich Anguanas Fußspuren ab: ein Menschenfuß und – daneben, ganz klein und irgendwie verschämt – der Abdruck eines Ziegenhufs.
    Wanjas Lachen riss Tobbs aus seinen Gedanken. »Nun mach doch nicht so ein Gesicht, nur weil ein Mädchen dir etwas geschenkt hat. Nicht jedem wünscht Anguana Glück! Komm her, du kannst mir die Feile reichen.«
    Tobbs schob den kleinen Kokon in seine Jackentasche und ging in respektvollem Abstand um das Pferd herum. Das Tier war rot wie dunkles Blut und hatte eine Mähne, die golden glänzte. Und gemeine Augen. Tobbs fühlte sich in der Gegenwart von Pferden nie besonders wohl, aber dieses hier schien nicht nur viel zu groß, sondern auch niederträchtig zu sein. Es beobachtete ihn aus kleinen, funkelnden Drachenaugen. Tobbs war sich ziemlich sicher, dass es insgeheim boshaft in sich hineingrinste. Langsam beugte er sich zu der Feile hinunter, die auf einem Holzbrett lag. Und ebenso langsam, wie er sich dann wieder aufrichtete, legte das Pferd die Ohren an und zeigte ihm mit einem launischen Grinsen sein gelbes Gebiss.
    »Wo bleibt die Feile, Tobbs!«, kam Wanjas ungeduldige Stimme aus der Schweifgegend. Tobbs umrundete das Tier ein zweites Mal, diesmal in der anderen Richtung in einem noch größeren Bogen. Das Pferd schielte ihm hinterher und schätzte offenbar die Entfernung zwischen seinem Hinterhuf und Tobbs’ Knie genau ab. Anscheinend wusste es sehr genau, dass Tobbs ihm nahe kommen musste, um Wanja das Werkzeug zu reichen.
    Tobbs blieb stehen. »Weißt du was, Wanja?«, rief er. »Ich bleib hier. Fang auf!«
    Jeder andere hätte sich
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