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Die Verborgenen

Die Verborgenen

Titel: Die Verborgenen
Autoren: Scott Sigler
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Presse mit dem füttern, was sie hören wollten, bis die Meute nach und nach das Interesse verlor und zur nächsten Story weiterzog.
    Zou verfügte über ein Drehbuch für Pressekonferenzen, das so vorhersehbar war, dass die Polizisten, die ihrem Befehl unterstanden, die einzelnen Schritte durchnummeriert hatten. Schritt I: Sammle Informationen, aber lass dich nicht auf Spekulationen ein. Schritt II: Setze die erfahrensten Ermittler auf den Fall an. Stufe III: Bilde eine Sondereinheit, die aus Mitgliedern verschiedener Abteilungen besteht. Stufe III lag inzwischen hinter ihr, und sie näherte sich dem, was den Medien besonders gefiel. Stufe IV: Setze zusätzliche Kräfte auf den Fall an. Zusätzliche Kräfte bedeutete, dass die Ermittler der Nachtschicht herangezogen wurden. Zou gab Jesse Sharrow, dem Captain der Mordkommission, die entsprechende Anweisung, und Sharrow gab die Anweisung an Bryan weiter.
    Und das bedeutete: Tagschicht.
    Bryan kratzte seinen kurzen dunkelroten Bart, und seine Hände wurden feucht. Manchmal vergaß er, sich dort abzutrocknen. Der Bart war inzwischen ein wenig lang – nicht allzu sehr, doch in ein, zwei Tagen würde er ihn stutzen müssen, sonst würde er nicht mehr lässig aussehen, sondern wie jemand, der seit kurzer Zeit obdachlos ist.
    Er drückte sich ein wenig tiefer in seinen schwarzen Frottee-Bademantel. Es war recht kühl hier oben. Seine nackten Füße baumelten sechs Stockwerke über der Laguna Street in der Luft. Er nippte an einem Becher Kaffee, seinem ersten an diesem Tag, und wandte sich nach Norden, seiner Aussicht auf die San Francisco Bay zu. Die Perspektive war nicht besonders beeindruckend: eine briefmarkengroße Lücke am Ende der Laguna Street, durch die ein Streifen blaues Wasser, die dunkle Masse von Angel Island und weit dahinter das verschlafene Tiburon, dessen Lichter wie Sterne funkelten, zu sehen waren. Er konnte von hier aus nicht einmal das Wahrzeichen der Stadt, die Golden Gate Bridge, erkennen. Zu viele größere Gebäude waren ihm im Weg. Wenn man reich war, konnte man Orte mit guter Aussicht genießen. Cops wurden nicht reich.
    Jedenfalls nicht diejenigen, die sauber blieben.
    Offiziell war Bryan »Inspektor bei der Mordkommission«, doch er fühlte sich nicht so. Er inspizierte nichts, er ging auf die Jagd . Auf die Jagd nach Mördern. Es war sein Leben. Seine Daseinsberechtigung. Was auch immer er im Leben vermissen mochte, es hatte keine Bedeutung mehr, sobald die Jagd begann. Und es gab noch einen weiteren Grund, warum er seine Arbeit ernst nahm, auch wenn es sich sentimental anhörte: Diese Stadt war sein Zuhause, und er war einer der Menschen, die sie beschützten.
    Er war hier geboren worden, doch sein Vater war während Bryans Kindheit und Jugend viel herumgekommen. Grundschule in Indianapolis. Junior High in Atlanta. Das erste und das zweite Jahr auf der Highschool in Detroit. Nirgendwo hatte sich Bryan wirklich heimisch gefühlt; das hatte sich erst geändert, als sie wieder nach San Francisco zurückgekehrt waren und er hier zur Highschool gegangen war. George Washington High. Eine schöne Zeit.
    Das Handy in der Tasche seines Bademantels klingelte mit dem für die Zweiwegfunktion typischen Ton. Bryan musste nicht nachsehen, wer anrief, denn nur sein Partner Pookie meldete sich auf diese Weise. Bryan hob das Handy ans Ohr und drückte auf die Zweiwegtaste. Wenn er selbst anrief, klang der Ton wie bi-bup . Wenn Bryan von Pookie angerufen wurde, klang der Ton genau umgekehrt: bu-bip .
    »Ich bin bereit«, sagte Bryan.
    »Nein, das bist du nicht«, antwortete Pookie. »Du sitzt wahrscheinlich auf dem Dach und trinkst Kaffee.«
    »Keineswegs«, sagte Bryan und nahm einen Schluck.
    »Wahrscheinlich bist du noch nicht mal angezogen.«
    »Bin ich doch«, sagte Bryan.
    »Du bist ein V-L-D-L-E.«
    Pookie und seine selbst erfundenen Akronyme. Bi-bup: »Was, zum Teufel, ist ein V-L-D-L-E?«
    Bu-bip: »Ein verlogener Lügner, der Lügen erzählt. Es wird jetzt seine Kleider anziehen, oder es bekommt wieder die Hupe zu hören.«
    Bryan leerte den Kaffeebecher und stellte ihn links von sich auf den Sims. Dort standen bereits drei andere Becher. Er versuchte sich zu merken, dass er sie in der folgenden Nacht würde mitnehmen müssen. Üblicherweise machte er sich wegen verwaister Kaffeebecher erst Sorgen, wenn fünf oder sechs zusammengekommen waren, die ihm wie ein kleiner Keramikkalender zeigten, wann er sich zum letzten Mal die Mühe gemacht hatte,
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