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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin
Autoren: Astrid Fritz
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lauter zum Torhüter: «Kann ich meine Ware jetzt endlich in die Stadt bringen?»
    Eva lief um den Krämerkarren herum und ergriff ihren Bruder beim Arm. Dabei bückte sie sich mit einem überraschten Aufschrei.
    «Habt Ihr das verloren?»
    Sie reichte dem Mann die Geldkatze. Dabei lächelte sie treuherzig.
    «Sapperment! Das ist in der Tat meine.» Seine Miene wurde freundlich. «Hab vielen Dank, Mädchen. So ehrliche Kinder findet man selten in diesen Zeiten.»
    Rasch packte er den Schatz weg, ohne auf Evas erwartungsvollen Blick zu reagieren, hob die Deichsel seines Karrens an und marschierte durch das Tor.
    «Alter Geizhals», murmelte Eva enttäuscht. Immer seltener erhielt sie einen Obolus, wenn sie die unbemerkt geklauten Geldbeutel zurückgab. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen.
    «Hast du das Tuch mit dem Löwenzahn?», wandte sie sich an Niklas. Dem blieb der Mund offen stehen.
    «Ich hab’s am Inn liegen gelassen.»
    «Du Dummkopf!»
    Die Ausbeute eines ganzen Morgens war dahin und ein gutes Stück Leintuch dazu! Jetzt im Frühjahr gaben die Felder noch nichts her, was man hätte stibitzen können, und so pflückten sie täglich nach dem Morgenessen draußen vor den Toren der Stadt Löwenzahn und allerlei Kräuter, damit überhaupt etwas Frisches auf den Tisch kam.
    Niklas zog die Nase hoch, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er gleich zu weinen beginnen würde.
    «Sollen wir zurück?»
    «Das geht nicht. Die Hoblerin wartet. Und jetzt heul nicht und komm.»
    Es tat ihr vor allem für ihren kleinen Bruder leid, dass sie in ihrer neuen Heimat, dieser Handwerkervorstadt vor der alten Brücke hinüber nach Passau, lebten wie die Junker von Habenichts, und das trotz ihres Vaters Anstellung als Büttel. Niklas war viel zu mager und klein für seine acht Jahre, was die anderen Gassenbuben weidlich ausnutzten, und auch sie selbst musste oft genug hungrig schlafen gehen. Dabei tat sie alles, um zum Unterhalt beizutragen: Neben der täglichen Hausarbeit wie Kochen und Putzen, Nachttöpfe-Leeren und Strohmatten-Wenden, Wäscheflicken und Töpfeschrubben bot sie überall in der Nachbarschaft ihre Dienste an. So schleppte sie Wasser und Holz für die alte Hoblerin von gegenüber, klaubte Pferdeäpfel aus dem Straßendreck, um sie gegen einen Kanten Brot einzutauschen, oder verrichtete Botengänge. Letzteres liebte sie fast ebenso sehr wie ihren morgendlichen Gang durch die Wiesen, denn es führte sie heraus aus der engen, stinkenden Vorstadt am Inn, mal über den Fluss in die Bischofsstadt, mal in die Fischersiedlung an der Ilz oder in den Marktflecken Hals mit seiner malerischen Burg. Hin und wieder, an sonnigen Tagen, nahm sie sich die Freiheit und wanderte nach ihren Botengängen hinauf in die grünen Hügel, bis zu einer einsamen kleinen Lichtung –
ihrer
Lichtung. Hier saß sie und sah aus luftiger Höhe auf die alte Residenzstadt herab, die wie ein Schiffsbug in den Zusammenfluss von Donau, Inn und Ilz ragte, in diese Ströme aus bunten Wassern: Blau floss die Donau dahin, smaragdfarbenes Grün brachte der Inn aus den Alpen, moorschwarzes Wasser die Ilz. Oftmals fühlte sie sich bei diesem Anblick so leicht und froh, dass sie lauthals zu singen begann.
    Abends dann, wenn ihr Stiefvater eine Schenke nach der anderen aufsuchte, angeblich, um dort seiner hehren Aufgabe alsRüger in städtischen Diensten, als Hüter von Sittlichkeit und Ordnung nachzukommen, ging ihre Arbeit weiter. Nachdem sie Niklas zu Bett gebracht und noch ein, zwei Abendlieder mit ihm gesungen hatte, machte sie sich an die Küche, bis das Wenige, was sie besaßen, blitzte und blinkte. Oder sie besserte ihre abgetragene Kleidung aus. Manchmal klopfte in diesen Augenblicken die Hoblerin an die Tür, wohl wissend, dass sie allein war, und brachte ein Stück Käse oder einen Krug Milch vorbei.
    «Damit euch nicht vor Hunger der Nachtmahr erscheint», sagte sie jedes Mal, bevor sie wieder davonschlurfte. Die alte Witwe war die Einzige hier, die ihnen nicht gleichgültig oder gar abfällig begegnete. Dabei hatte sie es selbst nicht leicht mit ihrem geringen Auskommen und den vielen Gebrechen und Zipperlein.
    «Eva?»
    Sie schrak aus ihren Gedanken. Niklas hielt ihre Hand fest. «Bist du mir noch böse?»
    «Nein, mein Igelchen.» Sie strich ihm über die blonden Haarstoppel. «Außerdem ist heut Viktualienmarkt, und da lässt sich noch viel Besseres auftreiben als irgendwelche Kräuter, wirst sehen.»
    Kurz darauf standen sie vor
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