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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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zurück.  Wie war es möglich, daß er sich so plötzlich entscheiden konnte, nachdem er fast vierzehn Tage lang gezögert hatte und unfähig war, ihr auch nur einen Kartengruß zu schicken?
    Er war selbst überrascht. Er handelte gegen seine Prinzipien. Vor zehn Jahren war er von seiner ersten Frau geschieden worden und hatte die Scheidung in einer Feststimmung erlebt, in der andere Leute Hochzeiten feiern. Er hatte damals begriffen, daß er nicht dazu geboren war, an der Seite welcher Frau auch immer zu leben, und daß er nur als Junggeselle ganz er selber sein konnte. Also war er sorgfältig darauf bedacht, sein Leben so einzurichten, daß keine Frau je mit einem Koffer bei ihm einziehen würde. Aus diesem Grund stand in seiner Wohnung nur ein einziges Bett. Obwohl es breit genug war, behauptete Tomas allen Freundinnen gegenüber, daß er nicht imstande sei, mit jemandem im selben Bett einzuschlafen, und fuhr sie alle jedesmal nachts nach Hause zurück. Auch als Teresa zum ersten Mal mit der Grippe bei ihm geblieben war, hatte er nicht mit ihr im selben Bett geschlafen. Die erste Nacht verbrachte er in einem großen Sessel, die folgenden Nächte im Krankenhaus, wo in seinem Konsultationszimmer ein Kanapee stand, das er während der Nachtwachen benutzte.
    Diesmal jedoch schlief er neben ihr ein. Als er am nächsten Morgen aufwachte, stellte er fest, daß Teresa, die noch schlief, seine Hand hielt. Hatten sie die ganze Nacht Hand in Hand dagelegen? Das erschien ihm kaum glaublich.  Sie atmete tief im Schlaf, hielt seine Hand (ganz fest, er konnte sich nicht aus ihrer Umklammerung lösen), und der unendlich schwere Koffer stand neben dem Bett.  Er wagte nicht, seine Hand freizumachen, er wollte sie nicht wecken und drehte sich nur sachte auf die Seite, um sie besser beobachten zu können.
    Und wieder kam ihm der Gedanke, Teresa sei ein Kind, das jemand in ein pechbestrichenes Körbchen gelegt und auf dem Wasser ausgesetzt hatte. Man darf doch ein Körbchen mit einem Kind nicht einfach auf dem reißenden Fluß treiben lassen! Hätte die Tochter des Pharao das Körbchen mit dem kleinen Moses nicht aus den Wellen geborgen, gäbe es weder das Alte Testament noch unsere  Zivilisation! Wieviele alte Mythen fangen damit an, daß jemand ein ausgesetztes Kind rettet. Hatte sich Polybos nicht des jungen Ödipus angenommen, hätte Sophokles seine schönste Tragödie nie geschrieben!  Damals war es Tomas noch nicht klar, daß Metaphern gefährlich sind. Mit Metaphern spielt man nicht. Die Liebe kann aus einer einzigen Metapher geboren werden.
    5.
    Mit seiner Frau hatte er knapp zwei Jahre zusammengelebt und einen Sohn gezeugt. Im Scheidungsurteil sprach das Gericht das Kind der Mutter zu und verurteilte Tomas, ihnen als Lebensunterhalt ein Drittel seines Gehalts zu zahlen.  Gleichzeitig wurde ihm das Recht zugestanden, seinen Sohn alle zwei Wochen zu sehen.
    Aber jedesmal, wenn er ihn treffen wollte, erfand die Mutter irgendeine Ausrede. Hätte er ihnen teure Geschenke gemacht, wären die Besuche sicherlich leichter zu erreichen gewesen. Er begriff, daß er der Mutter die Liebe seines Sohnes bezahlen, vorausbezahlen mußte. Er stellte sich vor, wie er dem Sohn später seine eigenen Ansichten, die denen der Mutter in jeder Hinsicht widersprachen, einschärfen würde wie Don Quixote. Allein der Gedanke machte ihn schon matt. Als die Mutter eines Sonntags wieder einmal in letzter Minute das Treffen mit dem Sohn abgesagt hatte, entschied er ganz plötzlich, daß er ihn nie mehr sehen wollte.
    Warum übrigens sollte er für dieses Kind, mit dem ihn nichts weiter als eine leichtsinnige Nacht verband, mehr empfinden als für irgendein anderes? Er würde pünktlich zahlen, aber keiner sollte von ihm verlangen, daß er im Namen irgendwelcher Vatergefühle um seinen Sohn kämpfte!
    Unnötig zu sagen, daß niemand mit dieser Überlegung einverstanden war. Seine eigenen Eltern verurteilten ihn und verkündeten, daß sie sich als Eltern ebenfalls nicht mehr für ihren Sohn interessieren würden, falls dieser sich weigerte, sich um seinen Sohn zu kümmern. Sie hielten demonstrativ ein gutes Verhältnis zur Schwiegertochter aufrecht und rühmten sich, wo sie nur konnten, ihrer vorbildlichen Haltung und ihres Gerechtigkeitssinns.
    So gelang es ihm in kürzester Zeit, Frau, Sohn, Mutter und Vater loszuwerden. Übrig blieb einzig die Angst vor den Frauen. Er begehrte sie, aber er fürchtete sich vor ihnen. Er mußte einen Kompromiß
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