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Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition)
Autoren: Alfred Cordes
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Sinn, was ihm fehlt: sein Rucksack.
    Ich bin erleichtert, denkt er, buchstäblich, sucht die Umgebung ab, und als sich nichts findet, schielt er lächelnd zum Container. Der Rucksack ist von seinem Vater, der hat ihn zeitlebens getragen, auf dem Weg zur Schule, zum Hafen, wenn er Sonntagmorgens ins Watt hinausging, um Muscheln zu suchen, Krebse und vor allem Treibgut, das er zu seltsamen Fetischen komponierte, die mit der Zeit einen mythischen Kokon um die kleine Kate schlossen, so daß niemand mehr ohne ein Lächeln die Stube betrat. Als er gehen wollte, in die Stadt, da hat der Vater ihm keinen Stein in den Weg gelegt, keinen Fetisch, hat zwar den Kopf geschüttelt, weil er wohl wußte, wie vergeblich es war, in der Ferne zu suchen, was man in der Nähe nicht findet, das ist wie mit dem Treibgut, mein Sohn, aber er hatte ihn ziehen lassen, hatte ihm den Rucksack mitgegeben und ein Wort dazu von alttestamentarischer Härte und Richtigkeit, das er nicht einmal vergessen würde, wenn er nach hundertjährigem Schlaf in einem Container erwachen würde: Komm wieder, wenn du bleibst.
    Er wischt einen Regentropfen fort, der ihm am Nasenflügel entlang und bis auf die Lippe gelaufen ist, dann streckt er den Kopf über den Rand des Rettungsbootes und fragt sich, wie er da hineingekommen sein kann. Die Übelkeit nimmt eine brennende, ängstliche Färbung an. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ihm jemand über die Bordwand geholfen hat und daß es nicht unbedingt ein frei gewähltes Quartier gewesen ist. Und wenn es jetzt ein wenig später wäre, der richtige Tag dazu, so wäre er nun in einen Müllwagen entsorgt, in einen leibhaftigen Allesfresser, in dessen Innern ihn eine fette, metallene Schnecke flugs verdaut und auf der Müllkippe ausgeschieden hätte.
    Von den Innereien des Containers ist nichts zu erkennen. Er muß, so kommt ihm in den Kopf, im Rucksack die Taschenlampe haben, ein schweres, abgegriffenes Militärstück, mit dem sein Vater des Nachts am Wasser unterwegs war, abhängig von den Tiden wie das Treibgut, aber es ist ja eben, wie er ohne Taschenlampe erkennt, der Rucksack, den er sucht.
    Auf der anderen Seite des Hofes steht eine Laterne, durch deren trüben Lichtkegel der Regen streicht wie das schräge Muster einer tristen Tapete. In der Nähe steht ein Kübel aus Waschbeton, in dem eine jener unverwüstlichen Grünpflanzen hockt: wie eine uralte Spinne, die sich von melancholischer Luft und eiserner Aussichtslosigkeit ernährt. Fokko findet an der Seite des Containers einen Griff, zieht und schiebt ein wenig daran herum und setzt das Beiboot, mit dem er die Passage über den Ozean seiner Träume offenbar schadlos überstanden hat, ohne Mühe über den Hof und an die Mole aus Waschbeton. Von dort aus drückt er den Deckel so weit zurück, bis er seinen Widerstand quietschend aufgibt, auf die andere Seite schwenkt und sich mit einem glaubwürdigen Knall komplett öffnet. So fällt das karge Licht der Laterne in das Innere des Fischbauches und Fokko van Steen erkennt, in welch einer Koje, auf welch einer Fracht er geschlafen hat. Sein Schiff hat eine Art Eintopf geladen aus Kartons, Plastiktüten und merkwürdigen Gerätschaften der Physik, Manometer, Kupferspulen und Klemmen aus Bakelit. Dazwischen erkennt er Butterbrotpapier, schimmeliges Brot, zerquetschte Getränkepäckchen, Obstschalen und wie man zu guter Letzt Petersilie auf die Suppe streut, so liegt über allem eine jadegrüne Schicht jener Styroporflocken, die als Verpackungsmaterial verwendet werden, zittern in dem bescheidenen Binnenwind, der im Schiffsbauch herrscht, oder es überträgt sich sein eigenes Zittern über die Bordwand auf die sensiblen Flocken.
    Der Regen fällt stoisch auf seinen gebeugten Rücken und weicht ihm das Gemüt ein. Der Wind schneidet ihm die Haut in Streifen, und ihm ist derart übel, daß er wünscht, sich all das, was ihm diese hirnverbrannte Angst macht und ihm die Erinnerung zersetzt, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, den verdorbenen Eintopf anzureichern, in dem er just in in diesem Moment in einer Schattenecke wie ein knochiges Bratenstück seinen Rucksack entdeckt.
    Mit einer einzigen Bewegung ist er über die Bordwand und in seiner Koje zurück, hockt sich bequem auf einen Karton, läßt die Füße im Morast versinken, bis er festen Grund unter seinen Stiefeln spürt, und so, mit der Erde wenigstens mittelbar verbunden, ist ihm der Regen eine gnädige Erfrischung, die milde in die eiserne Kartause
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