Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Uhr der Skythen (German Edition)

Die Uhr der Skythen (German Edition)

Titel: Die Uhr der Skythen (German Edition)
Autoren: Alfred Cordes
Vom Netzwerk:
selbstzufriedenen Lächeln, weil sie die Angelegenheit ganz offensichtlich für sich auf den Schlußpunkt gebracht hatte: nach rückwärts.
    Damit schien für sie alles gesagt. Fokko hatte das Gefühl, nichts von alledem begriffen zu haben. Als sie dann ein wenig Abstand nahm und sich spürbar erleichtert auf der linken Lehne aufrichtete, zog er seine Hand aus dem Schatten ihres vortrefflichen Hinterteils, wollte sie vor den Mund nehmen, um seine Ratlosigkeit zu kaschieren, da spürte er die schleimige Konsistenz und das Aroma von Banane am Finger, schaute zur Seite, sah eine Scheibe der Frucht an ihrer Sporthose kleben, und diese Marginalie schien die Kraft zu besitzen, alles, was geschehen war, ins Lächerliche zu ziehen und damit ungeschehen zu machen.
    Er kicherte. Sie aber nahm das wohl als sinnfällige Bestätigung ihrer Anwürfe, stand in einer Sekunde auf ihren unvergleichlichen Beinen vor ihm, hatte die Laser sofort wieder unter Strom und zeigte mit einem Finger auf ihn.
    Ich habe mir für das neue Jahr einiges vorgenommen!
    Die Bananenscheibe auf ihrem Hinterteil war für ihn nicht mehr zu sehen.
    Abnehmen doch nicht, fragte er vollkommen ernst. Oder weniger Alkohol…?
    Sie schnaubte verächtlich. 
    Ich werde den Sylvesterabend allein verbringen.
    Dazu zog sie sich in einer artistischen Bewegung ihr Sporthemd über den Kopf und vom Körper. Ihre Brüste schauten ihn an, als hätte sie zwei weitere Waffen gezogen.
    Ich werde das neue Jahr allein beginnen, ganz allein für mich, ohne jemanden, der mir ungefragt Geschichten erzählt von alter Musik und alten Bildern!
    Wie um ihm in aller Deutlichkeit zu präsentieren, auf was er künftig zu verzichten habe, zog sie nun ebenso routiniert die Sporthose aus. Die Bananenscheibe sprang rechtzeitig ab und rettete sich unter den Radiotisch.
    Zuerst nehme ich ein heißes Bad, erklärte sie. Und wenn ich damit fertig bin, bist du weg, Fokko van Steen! Aus dem Großvatersessel da, aus dem Haus, aus meinem Leben!
     
    Die Stimme des Priesters erfüllt den hohen Raum mit einem klagenden Singsang, den der Chor der alten Frauen mit einer gekrächzten Phrase zum Abschluß bringt.
    Fokko begreift nicht, was Eva ihm vorgeworfen hat. Die Selbstgespräche, nun ja, die sind wie ein Radio, das dauernd läuft, und niemand erbarmt sich, es einfach abzuschalten. Das Wort von der Stagnation aber geht ihm nahe. Niemand lebt nur deswegen rückwärts, weil er sich für alte Meister interessiert. Im Gegenteil, denkt er, mancher glaubt sich mit dem Zeitgeist in unaufhörlicher Bewegung und übersieht, daß er nicht ein Stück von der Stelle kommt. Es kann nicht sein, daß alles aus ist, endgültig und für immer, es ist nichts weiter als eine Krise. Eva hat schon öfters davon gesprochen, daß sie zu Sylvester mit schönster Zuverlässigkeit in eine Depression stürze, weil man diesen Tag nicht einfach überschlafen könne, weil es eine erbärmliche Pflichtveranstaltung sei, bei der am Ende nichts anderes herauskommt, als daß man wieder ein Jahr älter geworden ist.
    Die Viertelstundenglocke schlägt an.
    Das neue Jahr ist da, die Krise wird durchstanden sein. Eva hat Sylvester für sich gehabt, die Gesellschaft der wiederkehrenden Depression wie der Besuch einer alten Freundin, mit der man voller Lust und Qual über diverse Katastrophen redet. Sie liegt jetzt noch in tiefstem Schlaf. Wenn sie erwacht, sieht sie alles vollkommen anders. Er kehrt zurück, sie nimmt ihn in die Arme, und die Zeit ist überlistet.
    Das Licht zwischen den Säulen gerät in Bewegung. Die Frauen treten an die unterste Stufe zum Altar, als wollten sie einen Fürsten um Gnade bitten, um Brot, um Gunst. In den Sandstein des Pfeilers jenseits des Seitengangs ist eine Kreuzwegstation eingelassen: Jesus stirbt am Kreuze. Es ist eine schlichte, eindringliche Darstellung, der gefolterte Erlöser bäumt sich ein letztes Mal am Holze auf, und Fokko denkt, diesen Augenblick wird es gegeben haben, und die Weltgeschichte hat für diesen finalen Atemzug angehalten. Man kann davon halten, was man will, aber ganz offenbar hat dieser Tod die darauffolgenden zweitausend Jahre erheblich beeinflußt.
    Der Priester reicht den alten Frauen die Heilige Kommunion. Mit gebeugten Rücken und gesenkten Köpfen empfangen sie sie wie Gnade, Brot oder Gunst. Fokko läuft es eiskalt über den Rücken. Er muß sich jetzt unbedingt bewegen, sonst wird er sich ausgerechnet dort, wo man ihm das ewige Leben verspricht, den Tod holen.
    Er packt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher