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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Autoren: Akif Pirincci
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betrachtet sah es so aus, als rüttele ein unschuldig Verurteilter in flehentlich fast kniender Haltung an den Gitterstäben seiner Gefängniszelle. Aus der Nähe wirkte er wiederum eher wie jemand, der demutsvoll darauf wartete, zum Ritter geschlagen zu werden, da die Arme schlaff herunterhingen und die Hände nichts berührten. Und von ganz nah betrachtet war er eine große Gliederpuppe, deren Kopf von einer Stange getragen wurde. Eine dünne Blutspur trat aus dem Einstichkanal aus und begann den Zaunstab herunterzurinnen. Seichtems schreckgeweitete Augen verloren allmählich den fiebrigen Glanz, den sie kurzzeitig angenommen hatten, und ein kaum wahrnehmbar trüber Film überzog seine Pupillen. Ein Motiv, das selbst fürs Großformat getaugt hätte, dachte Ali und grinste ...
    Dachte?
    Grinste?
    Aber nein, aber nein ... So leicht waren die Probleme des Lebens doch nicht zu lösen. Man konnte sich nicht einfach davonstehlen und sich dann aller Sorgen ledig aus dem Jenseits betrachten. Das wurde einem doch immer wieder gesagt. Da galt es noch die zahllosen Knoten aufzudröseln, die man während seiner Erdentage geknüpft hatte, die Verhältnisse in Ordnung zu bringen, bevor man ging, zumindest alles Erdenkliche zu versuchen, damit man keinen schlechten Eindruck hinterließ. Schließlich ging es um das ewige Seelenheil, und das bekam man bestimmt nicht bewilligt, wenn man hinter sich einen Saustall zurückließ.
    Ali senkte den Blick auf seine Hände. Obwohl schweißbedeckt wie der Rest seines Körpers, hielten sie die Gitterstäbe fest umklammert. Er hatte den tödlichen Aufprall noch im letzten Moment abfangen können, indem er sie rasch ergriffen hatte. Reiner Reflex, trotz siebzehn oder achtzehn Gläsern Wodka. Glück im Unglück! Hauptsache, man ist gesund! Bevor ihm weitere Platitüden einfielen, spürte er die intensivste Übelkeitswelle, seit er die Bar verlassen hatte. Der Inhalt seines Magens, ein übler Brei, schoß mit solcher Wucht aus seinem Mund wie ein Schockstrahl aus einem Wasserwerfer und besprenkelte das tote Laub und kahle Geäst in dem kleinen Vorgarten. Immer wieder krampften sich seine Eingeweide schmerzhaft zusammen, was ihm noch mehr Schweißperlen ins Gesicht trieb, so daß er schließlich wie gerade d er Badewanne entstiegen aussah.
    Am Ende, als nichts mehr herauskommen wollte und er sich nur noch in den Höllenschmerzen aus seinen malträtierten Eingeweiden wandte, sah er aus zusammengekniffenen Augen von dem für ihn völlig untypischen abstrakten Kunstwerk im Vorgarten zum Haus hoch. Auch dieses Gebäude kannte er gut, sogar dessen Bewohner. Es handelte sich um den heruntergekommensten Bau im Viertel. Und es ging bei den Anwohnern hinter vorgehaltener Hand das böse Wort vom »Schandfleck« um. Obgleich ebenfalls eine Perle aus der Gründerzeit, machte das Haus im gegenwärtigen Stadium den Eindruck, als wäre es sein eigenes Biedermeiergemälde, auf das ein Irrer ein Säureattentat verübt hat. Die Fassade mit ihren Erkern, reliefartigen Steinkonsolen in der Darstellung des Weingottes Bacchus, verschnörkelten Gesimsen und dämonengesichtigen Wasserspeiern war ihres Putzes gänzlich verlustig gegangen und starrte den Betrachter in einem fleckigen Braunton an. Die kleinen Balkone waren derart verfallen, daß an den Rändern bereits die Armierung zu sehen war. Wegen akuter Einsturzgefahr durften sie wohl kaum mehr betreten werden. Die Originaltüren und -fenster waren völlig verschwunden, an ihrer Stelle prangten häßliche Ersatzmodelle, doch nicht einmal die waren neu zu nennen.
    Obwohl Ali die Ursache des Verfalls nicht wirklich kannte, konnte er sie sich zusammenreimen. Sie beruhte höchstwahrscheinlich auf einem Mietstreit. Der Eigentümer hätte die Perle bestimmt schon längst einer aufwendigen Renovierung unterworfen, wäre der Mieter dann auf eine Mieterhöhung eingegangen. Wer weiß, vielleicht wehrte sich dieser sogar mit Händen und Füßen gegen das Vorhaben.
    Ali vermochte eine Ferndiagnose deshalb so genau zu stellen, weil er den Mieter kannte, zwar lediglich vom Sehen, jedoch jedesmal wenn er ihn sah, mußte er gegen das unwiderstehliche Verlangen ankämpfen, ihm eins auf die Nase zu verpassen. Jeder kannte so einen Typ in seiner Umgebung. Den Studenten irgendwelcher Geschwätzwissenschaften, der in den Siebzigern, als Altbau noch unattraktiv war, für einen Spottpreis in solch eine Bruchbude eingezogen war und sich darin nach und nach breitgemacht hatte. Den schnell
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