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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Autoren: Akif Pirincci
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gefleckt, als hätte er Fieber. Außerdem wirkte er plötzlich so hohlwangig wie der Insasse eines Terrorlagers, und müde, so unendlich müde.
    Er zog das Portemonnaie aus der Hosentasche, holte daraus sämtliche Scheine hervor und warf sie auf die Theke. Der Barkeeper, der ihn vom anderen Ende der Theke beobachtete und dabei ungerührt ein Glas polierte, machte nicht den Eindruck, als lege er Wert auf kleinliche Zählerei. Es würde schon stimmen; Hauptsache der letzte Gast war aus dem Laden.
    Seichtem ging aus der Bar in die kalte Dunkelheit des Märzmorgens hinaus, erfüllt von nur einem einzigen Ge danken: Damals, damals, damals …

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    W ie hat es nur dazu kommen können? fragte sich Alfred Seichtem immer und immer wieder, während er wie ein angeschossener Schattenmann aus einem Gangsterfilm durch den Morgennebel torkelte. Trotz seiner Einmeterfünfundachtzig wirkte er in dem längst zerschlissenen Windsor-Mantel - ein Relikt aus Zeiten, als Geld keine Rolle für ihn gespielt hatte - jetzt klein, ja nahezu buckelig, weil sein vom Alkohol verwirrter Gleichgewichtssinn dem Oberkörper eine gekrümmte Haltung aufzwang. Außerdem sah er den Bürgersteig unter sich mal doppelt, mal schemenhaft. Ihm war übel, und der Dunst, der ihn immer weiter einhüllte, trug auch nicht gerade dazu bei, daß er seine Umgebung deutlicher wahrnahm. Um so weniger ließ er sich von der Frage ablenken, die sein Leben in den letzten Jahren begleitet hatte - und von deren einzig wahrer Antwort.
    Ali wankte an herrschaftlichen Gründerzeitgebäuden vorbei, die teils proper renoviert, teils infolge heilloser Zerstrittenheit der Erben verfallen waren. Dabei hangelte er sich an den niedrigen Vorgartenzäunen entlang und drohte dabei immer wieder auf die pfeilscharfen Eisenspitzen zu stürzen. Er kannte dieses Viertel gut. Er hatte bis vor acht Monaten selber hier gewohnt. Und angesichts dieses für ihn unwiederbringlich verlorenen Paradieses versuchte er sich erneut einzureden, daß es keine vernünftige Antwort auf seine Frage gäbe. In Wahrheit jedoch kannte er die Antwort sehr gut. Er hatte sie schon immer gewußt.
    Die eigentliche Antwort hieß, daß er nie wie sie gewesen war, nie dazugehört hatte.
    Sie - damit waren die Bewohner des in sich geschlossenen Universums der sogenannten Kunst gemeint: die Malerkollegen, die Galeristen, die Ausstellungsmacher, die Kritiker, die Bildbandverleger, die Museumsdirektoren, die Meinungsführer, die Käufer, die Verehrer, all die vom Licht angezogenen Motten, die mittels undurchschaubarer Beziehungen und Ratschlüsse das Schicksal eines Künstlers bestimmten. Daumen hoch oder Daumen runter. Aber warum? Dieses Ausgestoßensein, das Leitmotiv von Seichtems Leben, klang nach heiligem Außenseitertum, nach wahrem Künstlertum, der Tragödie des verkannten Genies mit Selbstverstümmelungstendenz à la van Gogh, dem die Zeit schon Gerechtigkeit widerfahren lassen würde, in der entdeckungssüchtigen Zeit von heute sogar noch bevor man starb. Die Wahrheit war jedoch, daß es nie so ausgesehen hatte, als würde je ein Mensch auf die Idee kommen, in Seichtem ein brillantes Talent zu sehen, und daß er sich seinerseits zeitlebens nichts sehnlicher gewünscht hatte, als ein Teil des Mottenschwarms zu sein.
    Ali war eine tragische Figur, weil er selbst auf dem Höhepunkt seiner Karriere nicht herausgefunden hatte, worin die ungeschriebenen Regeln des Gewerbes bestanden und wovon es abhing, ob einer unsterblich und reich wurde oder als mittelmäßig wenn nicht sogar inakzeptabel galt. Sogar damals, ja, sogar in seinem von der Erinnerung verklärten Damals war Alis Erfolg mitnichten darauf zurückzuführen gewesen, daß man ihn in der Szene für einen anbetungswürdigen Künstler gehalten hätte, sondern darauf, daß seine Ware sich ordinär gut verkaufte. Sie hatten ihm stets alles Schlechte gewünscht. Das wußte er.
    Woran das lag, war ihm zunächst ein Rätsel gewesen. Schon auf der Akademie hatte er die Erfahrung machen müssen, daß man ihn nicht ernst nahm. Anfangs hatte er die Theorie gehegt, es liege an seinem Aussehen. Die großen Meister wirkten auf ihren Selbstbildnissen entweder wie Geistesgestörte mit glasigem Blick und Fuselbärtchen oder wie todgeweihte Patienten einer Tuberkuloseklinik. Oder aber sie besaßen das ungeschlacht männliche Charisma eines Picasso, welches bei der Popularisierung seines Genies äußerst hilfreich war. Jedenfalls geschah es in Malerkreisen wohl selten, daß der
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