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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler
Autoren: PAUL CLEAVE
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im Schatten, weil es zu heiß zum Arbeiten ist. Schließlich fahren wir durch das Tor des Polizeireviers. Vor uns steht ein Streifenwagen, aus dem zwei Beamte einen Mann von der Rückbank zerren. Er brüllt sie an, versucht, sie zu bei ßen, und die beiden Cops wirken, als würden sie ihn am liebsten wie einen tollwütigen Hund von seinem Leid erlösen. Schroder wühlt in seiner Tasche und gibt mir dreißig Dollar. »Das müsste für die Heimfahrt reichen«, sagt er.
    »Ich laufe«, sage ich und öffne die Wagentür.
    »Na los, Tate, nimm das Geld.«
    »Keine Sorge, ich bin nicht sauer auf dich. Ich war so lange eingesperrt – ich brauche etwas Bewegung.«
    »Wenn du versuchst, bei dieser Hitze nach Hause zu laufen, bist du ein toter Mann.«
    Auf seine Ratschläge kann ich verzichten. Allerdings ist es inzwischen so heiß, dass der Lack auf dem Wagen fast Blasen wirft. Die Hitze knallt durch die offene Tür, streift meine Haut und entzieht ihr sämtliche Feuchtigkeit. Meine Augen fühlen sich an, als hätte man sie mit Sand eingerieben. Ich nehme das Geld. »Ich zahl’s dir zurück.«
    »Das kannst du, indem du die Akte mitnimmst.«
    »Nein«, sage ich, doch ich kann ihn irgendwo da hinten spüren, den Magnet für Gewalt, der an mir zerrt, der mir zuflüstert, dass sich zwischen diesen Aktendeckeln der Wegweiser befindet, der mich in die Welt zurückführen wird. »Ich kann nicht. Also … Ich kann’s einfach nicht.«
    »Komm schon, Tate. Was zum Henker willst du jetzt tun? Du hast eine Frau, um die du dich kümmern musst. Und eine Hypothek. Du hast vier Monate lange nichts verdient. Du gerätst mit den Zahlungen in Rückstand. Du brauchst einen Job. Diesen Job. Ich will, dass du ihn übernimmst. Wer soll dich sonst für irgendwas anheuern? Du hast zwar letztes Jahr einen Serienmörder dingfest gemacht, aber glaubst du, das interessiert noch irgendjemanden? Egal, wie du die Sache rechtfertigst oder wie du das Für und Wider deiner Tat abwägst, es ändert nichts an der Tatsache, dass du jetzt ein Ex-Knacki bist. Das wirst du nicht mehr los. Dein Leben ist nicht mehr wie vorher.«
    »Danke fürs Mitnehmen, Carl.«
    Erst als ich auf der Straße bin und das Tor des Polizeiparkplatzes sich hinter mir schließt, werfe ich einen Blick in die Akte; zwischen ihre Deckel gequetscht warten Seiten voller Tod auf mich. Mir war die ganze Zeit klar, dass ich nicht ablehnen kann.
    Kapitel 2
    Der Daumen schwimmt in einem Glas mit einer trüben Flüssigkeit. Der Deckel ist fest verschlossen und das Glas sicher in Noppenfolie eingewickelt. Es befindet sich in einem Karton von der Größe eines Footballs, dessen Ecken leicht eingedrückt sind; der Inhalt ist von Hunderten länglicher Styroporchips umgeben, jeder ungefähr so groß wie der Daumen, den sie schützen. Der Karton ruht in den Händen eines Kurierfahrers mit Knitterhemd, an dem die beiden unteren Knöpfe geöffnet sind. Er wirkt ungeduldig. Und genervt von der Hitze. Daran, wie er Cooper seinen Unterschriftenscanner in die Hände drückt, kann man erkennen, dass er schnell wegwill. Der Scanner hat die Größe eines Taschenbuchs, und Cooper kritzelt unbeholfen seinen Namen darauf. Der Fahrer reicht ihm den Karton und wünscht ihm einen schönen Tag. Ein paar Sekunden später setzt er aus der Auffahrt zurück, und die Räder wirbeln kleine mit Teer überzogene Kieselsteine auf, die gegen das Fahrwerk prasseln. Cooper bleibt stehen und sieht ihm nach, den Karton in der Hand. Er fühlt sich ziemlich leicht an. Mit den Fingernägeln kratzt er am Rand der Briefmarken herum – ein Dutzend davon wurden zusammen mit einem falsch ausgefüllten Adressformular auf die Seite geklatscht. Die Aufkleber und die Briefmarken verleihen dem Karton ein exotisches Aussehen, als wäre er von einem entlegenen Ort durch ferne Länder befördert worden und als würde sich wer weiß was darin befinden – nur kein abgetrennter Daumen. Die Siegel sind alle unversehrt. Andernfalls hätte die Polizei und nicht ein Kurierfahrer bei ihm geklingelt.
    Er verschließt die Tür vor der brütenden Morgensonne. Die ganze Woche war die Hitzewelle, die Christchurch seit sechs Tagen heimsucht, das Hauptthema in den Nachrichten. Die Zahl der Todesopfer liegt noch unter zehn, doch zum Wochenende rechnet man damit, dass sie in den zweistelligen Bereich steigen wird. Die Hitze bringt die Teerdecke auf den Straßen zum Schmelzen, steckt Bäume und Gräser in Brand und dezimiert die Tierbestände der Farmer. Die Zahl
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