Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs
Autoren: Dagmar Trodler
Vom Netzwerk:
Im Lager herrscht wieder Fieber, Männer sterben, sie hungern, das Wasser ist knapp …« Das Mädchen entfernte sich hastig, als die Herzogin ruckartig hinter dem Bettvorhang erschien.
    »Wenn Ihr tratschen wollt, dann verlasst mein Haus.
Ich dulde kein Gequatsche.« Noch mit Schmerzen saß die Dame auf dem hohen Ross.
    »Wünscht Ihr, dass ich meine Heilmittel auspacke?« Ima stand kurz davor zu explodieren und wünschte die hochnäsige Herzogin zum Teufel - und Trota gleich mit, weil sie schuld daran war, dass Ima wie eine Sklavin auf dem Boden des Residenzgemachs hockte statt zuhause auf ihrer Bettkante.
    »Was zaudert Ihr noch, fangt schon an«, knurrte die Langobardin. Danach hörte man keinen Ton mehr von ihr. Nicht, als Ima die restlichen Binden von den Beinen wickelte, nicht, als sie die stinkenden Wunden mit Honigwasser spülte, und auch nicht, als sie im Licht der Kerze mit einem zierlichen Silberstab in den absterbenden Fleischgräben herumstocherte, um zu schauen, wohin sich das Blut verzogen hatte. Es saß weit unter einem grauen Brei, in den sich Maden hineingewühlt hatten. Ima entschloss sich, die Maden arbeiten zu lassen. Trota hatte ein paarmal erfolgreich mit Maden kuriert, warum sollte es hier nicht wirken? Das Schlimmste, was in der herzoglichen Residenz passieren konnte, war tatsächlich, sich Unsicherheit anmerken zu lassen …
    Hinter ihr würgte die Dienerin vor Ekel.
    »Reich mir den kleinen Beutel und hol frisches Wasser«, wies Ima sie an, um sie aus dem Weg zu haben. »Und spute dich.« Sie rückte ein Talglicht näher. Der Zustand des herzoglichen Beines ließ auf Krankheit im Inneren schließen, das hatte Trota schon erwähnt. Doch wusste jeder in Salerno, dass Sicaildis sich gegen den Rat der Priester einen ungläubigen Koch nur für die Süßspeisen hielt, von denen sie nicht lassen konnte. Süßspeisen machen die Beine kaputt, hatte Trota immer wieder gesagt. Sie sollte Süßes meiden. Sicaildis war weit davon entfernt, sich daran zu halten. Auf der Truhe stand eine Silberschale mit in Honig
getauchten Fruchtstücken. Ima schüttelte nur stumm den Kopf. Vorsichtig zupfte sie an den grauen Fleischbröckchen und tupfte Flüssigkeit weg. Die Maden würden es hoffentlich richten.
    »Eure Hand hatte einen guten Lehrer«, sagte da die Herzogin leise. »Ich tat Euch unrecht, als ich Euer Können anzweifelte, Ima von Lindisfarne.« Nichts in ihrer Stimme ließ darauf schließen, welche Schmerzen sie empfand. Man munkelte, dass sie hart wie ein gemeißelter Kathedralenstein war, denn Fehler tolerierte sie ebenso wenig wie Schmerzen - weder bei sich noch bei anderen.
    »Ich hatte gute Lehrer«, antwortete Ima daher, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen oder die leise Abbitte zu kommentieren. Sie führte auch nicht aus, wer diese Lehrer gewesen waren; möglicherweise hätte der Herzogin nicht gefallen, dass man Ima auch heidnisches Brauchtum beigebracht hatte und dass Gott in ihrer Heilkunst nur wenig Platz fand. Sie schob den Gedanken an ihre Lehrer - die Mutter und deren Freundin - beiseite, um sich zu konzentrieren. Sehnsucht und Heimweh waren schlechte Lehrmeister bei der Arbeit, wie die Mutter immer gesagt hatte. Ihre Freundin hatte deswegen stets gesungen, wenn sie ihre Heilkunst ausübte, doch das wagte Ima nicht in Gegenwart eines Priesters.
    Und so folgte dem Abtragen von Fleischstücken nur ein Umschlag aus Honigpaste, in die ein paar Tropfen tyriaca magna galeni aus Trotas Medizinkammer gemischt waren. Dieses tyriaca wurde auch die Königin der Heilmittel genannt und war ein wahres Wundermittel und aus profundem Wissen um die Heilkraft der Pflanzen zusammengebraut - die Ärztin tat dies nur bei Vollmond, um die ganze Kraft der Erde hineinrühren zu können, und dann erinnerte sie Ima tatsächlich ein wenig an die beiden Heilerinnen von Lindisfarne.

    Damit der Verband feucht blieb und nicht an den Wunden klebte, tropfte sie aus einer Phiole Weihwasser auf die dicke Leinenschicht. Sie war sich nicht sicher, ob das Weihwasser besser wirkte als Quellwasser, doch besaß es den besseren Ruf, und allein schon der würde hier gute Dienste tun. Die Mutter wäre genauso verfahren, und das, obwohl sie mit Gott in Dauerhader gelegen und kein Vertrauen in heiliges Wasser gehabt hatte.
    Andächtig sahen die Frauen zu, wie Tropfen für Tropfen im Verband versickerte und wie sich unter der Feuchtigkeit die Leinenbinden glätteten. Die Stille des Gemachs tat gut, und Imas Herz kam ein wenig zur Ruhe.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher