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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs
Autoren: Dagmar Trodler
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Vogel blieb sitzen - einer, den man bei Tag niemals zu sehen bekam -, eine Nachtigall, deren Freundin die Nacht war und deren Lied allzu oft den Tod verkündete. Ima starrte die unerwartete Besucherin an. Es liegt im Herzen eines jeden selbst, was er im Lied der Nachtigall hört, hatte Trota zu bedenken gegeben.
    Nicht immer sang die Nachtigall vom Tod. Manchmal heilte sie die nächtliche Schwermut auch mit ihrem Gesang. Letzte Nacht war ihr das nicht gelungen, die Schwermut war Ima geblieben, und verwirrende Ahnungen gesellten sich dazu, je länger sie die stumme Sängerin betrachtete.
    Und der Vogel hinterließ zunehmende Beunruhigung in ihr, weil er sich zeigte und schwieg.

ZWEITES KAPITEL
    Zum Laufen hilft nicht schnell sein,
Zum Kampf hilft nicht stark sein,
Zur Nahrung hilft nicht geschickt sein,
zum Reichtum hilft nicht klug sein;
dass einer angenehm sei, dazu hilft nicht,
dass er etwas gut kann,
sondern alles liegt an Zeit und Glück.
    (Prediger 9,11)
     
     
    D er blutrote Wein sorgte für Bettschwere.
    Ima bereute, einen zweiten Becher davon getrunken zu haben - oder vielleicht hätte sie auch nur mehr Hirsemus essen sollen. Doch die Abendluft war so schwül gewesen, dass sie kaum Hunger verspürt hatte, und so lagen sie und Trota hier draußen auf den steinernen Liegen und träumten sich in den Nachthimmel. Es war ein langer Tag gewesen, beendet durch ein heiteres Mahl in großem Kreis - Trota und Ima waren die Einzigen, die wieder einmal den Weg ins Bett noch nicht angetreten hatten. Sie lächelte verstohlen, schließlich wusste sie, wie sehr die Ärztin nächtliche Betrachtungen in ihrer Gesellschaft liebte …
    »Frau Trota …«, die Dienstmagd kam in lose fliegendem Hemd durch den Garten gehetzt, »… Frau Trota, kommt rasch, man verlangt Euch in der Residenz!«
    Die Ärztin stöhnte auf. »Der Herzogin schmerzen die Füße, und sie lässt mitten in der Nacht nach mir rufen! Bin ich ihre Sklavin? Auf gar keinen Fall laufe ich nachts …«

    »Trota.« Ima legte ihr die Hand auf den Arm. »Ihr seid Ihre Ärztin. Ihr müsst hingehen, wenn sie Euch ruft.«
    Die Salernitanerin runzelte unwillig die Stirn. Im Licht der Laterne sah man deutlich die Schatten um ihre Augen, die von vielen durchwachten und durchgrübelten Nächten sprachen, in denen sie Kräuter sortiert und die Notizen für ihr Heilkundebuch geordnet hatte … Sie wirkte müde. Sehr müde. Selbst die grauen Haare hingen müde an ihren Schläfen herunter, und immer mehr Falten durchzogen ihr fein geschnittenes Gesicht. Dieses Heilkundebuch kostete sie ihre ganze Kraft. Ein umfassendes Lehrbuch sollte es werden, ein Nachschlagewerk, in dem ihr gesamtes Wissen um Heilkunde und Krankheiten der Frauen aufgeführt sein sollte - und der Seitenstoß war bereits so hoch wie ein Weinbecher.
    So manches Mal war sie über den Pergamentseiten eingeschlafen oder hatte Rezepte zusammenrühren müssen, weil sie sich nicht mehr genau an die Inhaltsstoffe erinnern konnte, die sie Ima zuvor in endlosen Litaneien hatte auswendig lernen lassen. Jedermann gab ihr zu verstehen, dass ihr Wissen doch bestens aufgehoben war und dass es kein Buch darüber brauche - zumal von einer Frau geschrieben! »Die Mönche werden ihre Feuer damit füttern!«, hatte der Hausherr einmal gelacht, um sein Weib zum Schlafengehen zu animieren, doch die Bemerkung hatte Trota nur noch verbissener gemacht. Sie war überzeugt, dass ihr Heilkundebuch wichtiger war als der Schlaf - und als ihr Leben. Johannes Platearius wagte nicht mehr, sein Weib aus der Kräuterkammer zu holen, nachdem sie ihm einen ganzen Krug heißes Rosenöl an den Kopf geworfen hatte, weil er sie beim Denken unterbrochen und von einer wichtigen Idee abgebracht hatte. An das Geschrei erinnerte Ima sich noch genau. Seither war das Heilkundebuch der heimliche Herrscher im Haus, und niemand wagte es mehr, die alte
Ärztin zu behindern. Trota von Salerno brannte für ihre Leidenschaft und strafte mit ihrem Tun ihr eigenes Reden Lügen.
    Und am Ende war es Ima, die sich den Medizinkasten über die Schulter hängte und dem Knecht durch die dunklen Straßen hinauf zur Residenz folgte, um die müde Trota zum ersten Mal am Krankenbett der Herzogin zu vertreten.
    »Du bist reif genug dafür, hast genug zugeschaut und gelernt. Du brauchst mich nicht mehr, Ima. Geh und mach die Arbeit, für die Gott dich geschaffen hat«, hatte die Ärztin ihr an der Tür gesagt und ihre Wange gestreichelt.
    Imas pochendes Herz konnte das
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