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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs
Autoren: Dagmar Trodler
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versonnen. »Ich habe schon Nachtigallen sterben sehen …«
    »Sterben! Woran?«, fragte Ima.
    »An Hingabe? Leidenschaft? Ihr ging der Atem aus, und sie fiel einfach vom Ast herunter. Ich nahm sie hoch und versuchte, ihr Atem einzuhauchen. Sie schaute mich an. Ihr Auge bebte, doch ihr Herz hörte einfach auf zu schlagen.« Trota lächelte traurig. »Man kann von ihr lernen, weißt du. Man kann lernen, auf sich zu achten, seine Kräfte einzuteilen, ohne dass die Leidenschaft weniger wird.«
    Ima war sich nicht sicher, ob die Ärztin damit sich selbst meinte oder ob das Wort an sie gerichtet war.
    »Es ist immer die Leidenschaft, die tötet. Denk daran«, sprach Trota weiter. »Sie muss man beherrschen lernen, ihr muss man ein weiches Lager im Herzen bereiten, wo sie sich ausruhen kann. Menschen, die von der Leidenschaft
unablässig wie eine Fackel brennen, werden zu ihrem Opfer. Sie fallen vom Ast wie der Vogel, und niemand kann ihnen noch Leben schenken.«
    »Ihr habt so ein Lager, nicht wahr?« Ima sah die alte Ärztin neugierig an. »So ein weiches Lager in Eurem Herzen?«
    Die nickte. »Ich habe so ein Lager in meinem Herzen. Du hast es auch - du musst nur lernen, es öfter aufzusuchen. Dann wirst du auch schlafen können, weißt du?«
    Der Vogel zwitscherte verträumt vor sich hin. Die leise Melodie über ihren Köpfen trieb Ima wieder Tränen in die Augen. Auf Lindisfarne hatte es keine Nachtigallen gegeben, und am Königshof von London, wo sie die letzten Jahre verbracht hatte, war es zu laut und zu unruhig gewesen, um irgendwelchen Vogelstimmen zu lauschen. Vielleicht musste die Nachtigall ihren Menschen auch erst finden … Die Skalden und Sänger hatten von ihr erzählt und alte Geschichten zum Besten gegeben. Liebesgeschichten, Zaubergeschichten und … andere …
    »Ich dachte immer, die Nachtigall singt ein Klagelied und bringt den Tod.« Sie biss sich auf die Lippen, weil die Erinnerung daran so plötzlich kam. »Sie bringt dem den Tod, der ihr zuhört.« Kalt lief es ihr den Rücken hinunter. Die Mutter war davon überzeugt gewesen. Trota schwieg, wartete wohl auf die Geschichte dazu. Sie war eine Meisterin des Abwartens und Zuhörens, und so kramte Ima in ihrem Gedächtnis, was genau die Mutter damals erzählt hatte. Selbst der Vogel war verstummt und wartete.
    »Es gab da zwei Schwestern bei den Griechen, Philomela und Prokne. Philomela musste einen grausamen König heiraten. Der lockte ihre Schwester Prokne in einen Hinterhalt und verstümmelte sie. Daraufhin übten die beiden Frauen Rache an ihm. Als er sie töten wollte, verwandelte sich die eine Schwester auf der Flucht in eine Schwalbe, die andere
aber in eine Nachtigall mit blutgetränkter Brust, die jede Nacht wehmütig ihr Schicksal beklagte …«
    »Mädchen.« Trota legte den Arm um die junge Frau. »Es liegt im Herzen eines jeden selbst, was er im Lied der Nachtigall hört.«
     
    Diese Worte gingen Ima noch lange im Kopf herum, als der Tag schon längst wieder begonnen und sie mit all seinen Geräuschen und Gerüchen vereinnahmt hatte. Essensduft aus der Küche, das Geschrei eines Säuglings, dessen Mutter sich beim Stillen zu ungeschickt anstellte. Der süßliche Geruch einer neuen Rosenölsalbe, der aus der Medizinkammer heraus durchs ganze Haus zog und sich wie klebriger Dunst aufs Gemüt legte. Ima liebte das Rosenöl nicht, es war ihr zu schwer und verursachte ihr oft Kopfschmerzen, doch hatte sie gelernt, die Zähne zusammenzubeißen, wenn sie damit arbeiten musste. Und dieser Tage gab es häufig Gelegenheit, die Zähne zusammenzubeißen, alle Betten waren belegt, und die beiden Dienstbotinnen, die den kranken Frauen aufwarteten, hatten kaum Gelegenheit auszuruhen. Geschäftigkeit trieb alle an, niemand hatte Zeit zum Grübeln.
    In der Tat, der Tag ließ keine Schwermut zu, es war die Nacht, welche die Gedanken zur Last werden ließ - und die das Lied eines Vogels so veränderte, dass man davon weinen musste. Sie beschloss, die Nacht öfter zum Schlafen zu nutzen - dann würde auch die Sehnsucht nicht so schmerzlich brennen. Aber das war natürlich nur ein frommer Wunsch. Sie starrte versonnen vor sich hin. Sehnsucht brannte immer, wie ein Küchenfeuer, das niemals verlosch, weil jemand daneben saß und Holz nachlegte.
    Leise summend wanderte sie zwischen den Krankenlagern herum, kontrollierte, ob die Mädchen ihre Anweisungen ausgeführt hatten und ob es den bettlägerigen Frauen
gut ging. Trota von Salerno war die einzige
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