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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs
Autoren: Dagmar Trodler
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vergaß niemanden, der ihm einmal gute Dienste erwiesen hatte. Ein zweites Mal hatte sie den Heiligen Vater zwar nicht mehr retten können, doch war seit seinem Tod im letzten Sommer kaum eine Woche vergangen, an dem nicht irgendwer aus dem herzoglichen Umfeld sie in die Residenz gerufen hatte. Er selbst weilte längst wieder bei seinem Heer, weit weg von zu Hause und, wie manche raunten, unsterblich.
    Im Haus knarzte eine Tür. Irgendjemand war offenbar aufgewacht, dabei hatte die Morgendämmerung noch nicht begonnen. Die Nachtigall war wieder verstummt, ihr Lied passte einfach nicht zu dem Mann, um den ihre Gedanken jetzt kreisten.
    Schnörkellose Zielstrebigkeit gehörte zu Roberts hervorstechendsten Merkmalen, das fiel ihr als Erstes ein, wenn sie an den Herzog dachte. Die meisten Menschen, die des hünenhaften Herrschers ansichtig wurden, überkamen erst einmal Furcht und Demut. Regelrechte Angst befiel all jene, die etwas verbrochen hatten und sich seinen Strafen ausgesetzt sahen, denn da kannte er keine Gnade und erlaubte sich, ungezügelt von seinem Beichtvater, unerhörte Grausamkeiten. »Strafe gehört zum Geschäft«, hatte sie ihn einmal sagen hören, bevor er einem Verräter die Augen hatte ausstechen lassen. Nicht einmal seine Gattin Sicaildis, der man eine gehörige Portion Barmherzigkeit bescheinigte, vermochte solche Strafen zu verhindern. Viele nannten ihn daher heimlich einen Teufel, der sich Apulien hinterlistig und raffgierig unter den Nagel gerissen habe und der doch in seine normannische Heimat zurückkehren solle.
    In der Tat, zielstrebig und grausam war der Guiscard, und Zaudern gehörte nicht zu seinen Schwächen. Davon
konnten die Männer seiner Truppen ein Lied singen, und die Frauen erzählten es zwischen Marktständen und am Brunnen weiter. Es gab sogar Leute, die sein Tun mit der Grausamkeit der Barbaren verglichen. Aber war nicht jeder Krieger ein Barbar? Von frühester Kindheit an war Ima von der Erbarmungslosigkeit des Krieges umgeben gewesen, sie kannte das vom Kampf gesäte Leid, sie kannte die Spuren, welche die Tränen auf die Wangen der Verlassenen zeichneten, und sie wusste, wie der Tod schmeckte.
    »Der Tod«, brummte sie, gleichzeitig erstaunt über ihre dunkle Stimme. »Der Tod schmeckt bitter … bitter.« Vor allem die Erinnerungen daran schmeckten bitter. Düster starrte sie vor sich hin.
     
    »Na, kannst du wieder nicht schlafen?«
    Es raschelte, dann hockte Trota neben ihr. Sie hatte schon eine ganze Weile im Haus rumort. Ima machte ihr Platz auf den Stufen und genoss es, dass sie sich dicht neben sie setzte. Wie immer brachte die alte Ärztin eine Wolke von Gewürzdüften und Kräutergerüchen mit, die sich in ihren Kleidern und in ihrem Haar gefangen hatten - und das, obwohl sie aus dem Bett kam, denn sie trug ihr Nachtgewand. Der Hausherr Johannes Platearius liebte sein nach Medizin duftendes Weib und steckte gerne seine Nase in ihr Haar, statt ihre unordentliche Frisur zu beanstanden.
    »Hmm …«, brummte Ima undeutlich, denn sie hatte nach den anstrengenden Stunden mit der Gebärenden gar nicht erst versucht, ins Bett zu gehen, weil sie wusste, dass der Schlaf sie fliehen würde. Trota wusste das und streichelte über ihren Arm.
    »Pass auf dich auf, Mädchen. Hier, das hilft gegen Schlaflosigkeit.« Und sie reichte Ima einen Becher mit starkem Melissenaufguss. »Gegen Heimweh hilft es übrigens auch.« Die Laterne beleuchtete ihr liebevoll zwinkerndes Auge.

    »Hab ich Heimweh?«, fragte Ima und nippte an dem Tee.
    »Vielleicht? Wenn man die Vergangenheit ins Herz lässt, nimmt sie manchmal zu viel Raum dort ein«, sagte die Ärztin leise und rückte so dicht neben Ima, dass sie ihr den Am um die Taille legen konnte. »Wie ein fett gefüttertes Tier macht sie sich breit und beginnt zu drücken. Das nennt man dann Heimweh.« Beide Frauen schwiegen und starrten in die Nacht. Trotas Nähe tat gut, ihre Schulter bot einen Rastplatz für die düsteren Gedanken, die sie mit der Erinnerung an Robert Guiscard befallen hatten. Und als wollte auch sie helfen und die aufgewühlten Wogen glätten, setzte die Nachtigall ihr Lied fort und streute Perlen auf Imas erhitzte Wangen.
    Doch sie verglühten dort nur. Nichts konnte das Brennen der Erinnerung kühlen, nichts konnte es mildern, wenn es von der Nacht so großzügig in die Seele geträufelt wurde.
    »Wusstest du eigentlich, dass dieser Vogel bei den alten Römern das Gleiche kostete wie ein Sklave?«, flüsterte Trota
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