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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez
Autoren: Sam Hawken
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gebracht. »Okay«, wandte er sich an Estéban. »Sag mir, wann und wo.«

VIER
    Nicht nur billige Fabrikware überquerte die Grenze von Ciudad Juárez in die Staaten. Zu viele Lastwagen und zu viele Menschen bedeuteten auch zu viele mögliche Verstecke für Drogen. Die Polizei gab sich größte Mühe, die Schmuggler zu fassen, aber es war ein aussichtsloser Kampf. Schlimmer: Es war Routine. Mittlerweile brachten die hartgesottenen
traficantes,
die in Städten wie Mexico City das Sagen hatten, ihre Kämpfe und ihre Waffen bis nach Arizona, New Mexico und Texas.
    Estébans Produkt war Gras, aber von Zeit zu Zeit vertickte er auch ein wenig
gumersinda.
Er wusste, dass Kelly von den harten Drogen weg war, daher musste sich, wenn eine Lieferung Rohheroin kam, einer seiner einheimischen Kuriere darum kümmern. Auf diese Weise zollte Estéban Kelly seinen Respekt, und darum kamen sie so gut miteinander aus. Und natürlich wegen Paloma.
    Kelly hatte eine Reyes-Sporttasche bei sich, Boxausrüstung oben, ein Kilo Gras darunter. Als Mexikaner wäre er nie an den Grenzpolizisten mit ihren Drogenspürhunden vorbeigekommen, aber einen Gringo würdigte hier kein Bulle eines zweiten Blickes. Vielleicht nicht einmal eines ersten, wenn er so durch den Fleischwolf gedreht worden war wie Kelly am Abend zuvor.
    Er fuhr mit dem Bus nach Norden und ging den Rest des Weges zu Fuß in ein Viertel, das so nahe an der Grenze lag, dass er die Lichter von El Paso klar und deutlich erkennen konnte. In dieser Gegend war jede Nacht Party angesagt, da weiße junge Männer, der Touristenabschaum, durch die Striplokale und legalen Bordelle zogen und sich dabei immer mehr betranken, bis sie ohne einen Cent zurück über die Brücke torkelten, weil man ihnen Geldbörsen und Taschen leergeräumt hatte.
    Die Leute hier kannten Kelly; jedenfalls gut genug, dass sie ihn durchließen und nicht versuchten, ihm falsche kubanische Zigarren, Blumen, Spanische Fliegen und alles mögliche andere Zeug zu verkaufen. Während der Rest von Ciudad Juárez sich fürs Abendessen und Zubettgehen bereitmachte,ging in diesem Viertel die Post ab. Hier glich die Stadt allen anderen
turista
-Jahrmärkten entlang der Grenze, und darum kam Kelly auch nur her, wenn er dafür bezahlt wurde.
    Der Treff hieß La Posada del Indio, das Gasthaus zum Indianer. Ein großer beleuchteter Neonindianer mit Federschmuck, wie man ihn südlich der Grenze nie zu Gesicht bekam, bewachte den Eingang. Das Innere hatte kaum Ähnlichkeit mit einem Gasthaus oder einer Bar: eine winzige Bühne, auf der ein Mädchen tanzte, ein kompakter Tresen, hinter dem zwei Männer als Barkeeper und Zuhälter Dienst schoben, plus ein Dutzend Tische, um die ununterbrochen Mädchen ihre Kreise zogen.
    Kelly bestellte an der Bar eine überteuerte
cerveza.
Er zog keines der Mädchen an – entweder seines Aussehens wegen oder weil sie wussten, was Sache war. Im La Posada del Indio ließen sich gut Geschäfte machen, und die Männer, die des Geldes und nicht der Mösen wegen herkamen, hatten eine bestimmte Ausstrahlung.
    »Usted está buscando el hombre gordo?«,
fragte der Barkeeper Kelly.
    »Woher weißt du das?«, fragte Kelly.
    »Er hat gewartet. Du bist hier.«
    Kelly zuckte die Achseln, aber künftig musste sich Estéban einen neuen Platz für die Übergabe suchen; sie kannten Kelly hier zu gut. »Und wo ist er?«
    »Er musste lange warten. Hat sich ein Mädchen genommen.«
    Kelly sah sich nach einem dicken Mann um. Mitte der Woche hatten die meisten Kunden unter dem Neonlicht braune Mexikanergesichter und drahtige Arbeiterkörper. Zum Wochenende hin wurde die Hautfarbe heller, die Männer wurden feister. Und es wechselte mehr Bargeld den Besitzer.
    »Willst du dir den Schwanz lutschen lassen?«, fragte der Barkeeper. »Wir haben ein neues Mädchen hier. Die stört dein Gesicht nicht.«
    »Nein, danke«, sagte Kelly. Unbewusst berührte er das Pflaster auf der Nase. Obwohl er eine Handvoll Aspirin genommen hatte, pochte sein Gesicht noch im Takt des Herzschlags. »Welches Zimmer hat der dicke Mann genommen?«
    Der Barkeeper sagte es ihm. Kelly trank das Bier leer und ging zur Tür hinaus. Durch eine schmale Gasse gelangte er zur nächsten Straße, wo ein baufälliges Mietshaus mit rostigen Balkongeländern aus Gusseisen in der Dunkelheit aufragte. Frauen und Mädchen gingen die Betonstufen rauf und runter und führten Männer ins Haus oder brachten sie hinaus.
    Kelly beachtete die Frauen so wenig wie sie ihn. In
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