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Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi

Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi

Titel: Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
Autoren: Rebecca Michéle
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Erinnerung lächelte Mabel wehmütig. Ihm würde sie tatsächlich nie wieder begegnen, denn er war vor vier Jahren gestorben. Ein plötzlicher Herzinfarkt, so lautete der Text der offiziellen Anzeige, die in allen englischen Zeitungen erschienen war. Damals hatte Mabel mit sich gekämpft, rund ein Dutzend Mal versucht, Abigail einen Kondolenzbrief zu schreiben und ihr Bedauern über den Verlust ihres Ehemannes auszudrücken, aber entweder waren ihr die Worte zu banal oder zu hochtrabend erschienen. Mabel wusste, es war nicht richtig gewesen, dass sie Abigail schlussendlich ihr Beileid nicht ausdrückte. Dashatte nichts damit zu tun, dass sie der Cousine immer noch zürnte, sondern vielmehr, dass Abigail und Arthur zu einem anderen Leben gehörten. Einem Leben, das für Mabel so weit entfernt war wie der Mond von der Erde.
    Ein Blitz zuckte über den nachtschwarzen Himmel, nur zwei Sekunden später krachte ein unbeschreiblich lauter Donner, dem gleich darauf der nächste Blitz folgte. Der Regen verstärkte sich und prasselte so hart und laut auf das Autodach, dass Mabel zuerst dachte, es würde hageln. Sie lächelte und seufzte. Offenbar hatte sie vergessen, um wie viel heftiger Unwetter in Cornwall im Vergleich zu London sein konnten. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte inzwischen nach dreiundzwanzig Uhr, und sie gab die Hoffnung auf, dass jemand sie noch heute Nacht aus dieser misslichen Lage befreien würde. Augenscheinlich hatte sie sich in eine Gegend verirrt, in die nie jemand kam, zumindest nicht bei diesem Wetter. Sie fürchtete sich nicht vor Gewitter, denn sie wusste um die Sicherheit des Faradayschen Käfigs. Überhaupt war sie keine schreckhafte Frau, sondern stand mit beiden Beinen im Leben und nahm gerne jede Herausforderung an. Nun, die heutige Nacht hätte Mabel natürlich lieber in einem warmen, weichen Bett verbracht als auf einer einsamen Straße. Sie streckte ihre steifen Glieder, so gut das in der Enge ihres Kleinwagens möglich war. Sie angelte nach der Tasche auf dem Rücksitz, zog sie nach vorne und holte eine Plastikbox und eine Thermoskanne hervor. Henny hatte darüber gelächelt, als Mabel Tee und Sandwichs für die Fahrt einpackte.
    „Mabel, alle paar Meilen gibt es Rasthäuser, in denen man sich verköstigen kann“, klangen ihr Hennys Worte in den Ohren.
    „Auf den Rastplätzen ist es sehr teuer, und es könnte ja auch eine Situation eintreten, in der es mir nicht möglich ist, einen Tee zu kaufen.“
    Jetzt war Mabel über ihre Entscheidung froh, denn seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen, und ihr Magen knurrte vernehmlich. Da sie glaubte, bis spätestens zwanzig Uhr ihr Ziel erreicht zu haben, und bei der Geburtstagsfeier würde es ausreichend zu essen geben, hatte sie auf einen ausgiebigen Lunch verzichtet. Wie hätte sie wissen sollen, dass sie zuerst auf der Höhe von Stonehenge über drei Stunden im Stau stehen würde, da die Straße wegen eines Frontalzusammenstoßes zweier Autos gesperrt worden war, und dass sie sich dann im Unwetter hoffnungslos verirrte? Mabel trank einen Schluck des Tees, der sich seit über zwölf Stunden in der Kanne befand und deswegen nur noch lauwarm war und aß langsam ein Hähnchenbrustsandwich mit Eisbergsalat, der bereits angewelkt war. Dann zwängte sie sich zwischen den Sitzen nach hinten, was gar nicht so einfach war, denn in ihrem Alter war man nicht mehr ganz so beweglich, entfaltete eine karierte Wolldecke und versuchte, eine einigermaßen bequeme Position zu finden. Wenn Mabel die Beine anzog, passte sie mit ihren einhundertsechzig Zentimetern gerade so auf die Rückbank. Es war Nacht, es regnete und stürmte und sie saß hier fest – dann würde sie eben versuchen, so gut es ging zu schlafen, um sich bei Tagesanbruch auf den Weg zu machen, um Hilfe zu holen. Glücklicherweise war es nicht kalt, und Mabel war durch die Nachtdienste im Krankenhaus daran gewöhnt, auch unter widrigen Umständen zu schlafen. Wenn sich Mabel die Situation richtig überlegte, so war sie eigentlich ganz froh, die Party versäumt zu haben. Es war ihr lieber, wenn ihre erste Begegnung mit Abigail nach über vierzig Jahren in einem kleinen Kreis, am besten unter vier Augenstattfand, anstatt inmitten von Dutzenden von Menschen, die sie nicht kannte. Mabel rollte sich zusammen, zog die Wolldecke bis zum Kinn und war binnen kurzer Zeit eingeschlafen.
    Ein Dröhnen und ein grelles Licht, das ihr direkt ins Gesicht fiel, weckten sie. Erschrocken fuhr sie hoch
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