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Die Todesspirale

Die Todesspirale

Titel: Die Todesspirale
Autoren: Leena Lehtolainen
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Schlittschuhen, unterhielt sich mit Elena Grigorieva. Rami Luoto zog Irina das verrutschte Trikot zurecht. In der Frühjahrsshow hatte sie einen schüchternen Zwerg gespielt und war ein kunstvolles kleines Solo gelaufen.
    Wurde bei der Gedenkvorstellung auch diese Szene gezeigt, oder sollte Irina tatsächlich Nooras Rolle als Schneewittchen übernehmen? Janne hockte in einem der schalenförmigen Sitze im Block A und hatte die Beine auf die Rückenlehne der Vorderreihe gelegt. Er trug keine Schlittschuhe. Ulrika Weissenberg redete aufgeregt auf ihn ein, und ich schob mich nä
    her heran, um das Gespräch belauschen zu können.
    «Du könntest wenigstens aufs Eis kommen und ein paar Worte zu Nooras Gedenken sagen, wenn du schon nicht laufen willst.»
    «Ich leg in der Kirche meine Blumen nieder, und damit hat sich’s. An diesem Zirkus hier werde ich mich nicht beteiligen!»
    «Wir tun es für Noora. Es hätte ihr gefallen.»
    «Ja, das hätte es, verdammt nochmal, sie hat’s ja immer gern dramatisch gehabt. Aber sie kann uns nicht zuschauen!» Janne stand auf, trat ganz nah an Ulrika heran und packte sie an den Schultern. Eine halbe Sekunde lang dachte ich, er werde sie gleich umarmen, doch dann brüllte er: «Sie ist tot, Ulrika, tot! Kapierst du! Noora ist tot! Zum Teufel mit eurer blöden Aufführung!»
    Er schüttelte sie heftig, man konnte meinen, er wolle sie die Treppe hinunterwerfen. Dann schien er zu sich zu kommen, ließ sie los und rannte in den oberen Teil der Tribüne, der im Dunkeln lag.
    Irina Grigorieva lief ihr Solo sicher, aber wesentlich ausdrucksloser als im Frühjahr. Es wunderte mich, dass die beiden Trainer sich Ulrika Weissenbergs Wunsch gefügt hatten, obwohl sie wissen mussten, wie hart es für die kleinen Eisläuferinnen war, glückliche Waldbewohner zu spielen, nachdem ihr Schneewittchen im wirklichen Leben getötet worden war.
    Wieder erinnerte ich mich an Nooras flehenden Blick bei der Frühjahrsshow und an die Leiche der kleinen Minni in ihrem Gitterbettchen. Ich schloss die Augen, wollte nicht an die beiden denken, konnte es nicht ertragen. Deshalb zwang ich mich, mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich im Vorbereitungs-kurs gelernt hatte. Eröffnungsperiode, Austreibungsperiode, Nachgeburtsperiode. Da geschah etwas Seltsames.
    Ich hatte gelegentlich gehört, dass es anderen auch so geht. Wochenlang wälzt man ein Problem, denkt pausenlos darüber nach, sucht vergeblich nach der Lösung. Und dann, wenn man mit den Gedanken ganz woanders ist, wird einem schlagartig alles klar.
    So ging es mir, als ich mir die Phasen der Entbindung ins Gedächtnis rief: Ich begriff, wer Noora Nieminen getötet hatte, und warum. Sogar das Wie begann sich zu klären. Die Antworten waren von Anfang an da gewesen, sie hatten nur auf die richtigen Fragen gewartet.
    Ich stand auf und ging auf den Flur, um bei der Zulassungsstelle anzurufen, wo man meine Vermutung bestätigte.
    In meinen Notizen und in Nooras Tagebuch überprüfte ich einige Details, musste in meiner Aufregung allerdings lange blättern, bevor ich die richtigen Seiten fand. Unter den Triumph der Erkenntnis mischte sich Zorn auf Nooras Mörder, zudem war ich unschlüssig, wie ich weiter vorgehen sollte.
    Eigentlich konnte die Festnahme bis zum nächsten Tag warten, denn der Täter war ahnungslos und würde mir nicht da-vonlaufen. Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, ging ich zurück auf die Zuschauertribüne.
    Nun war Silja auf dem Eis. Die blauvioletten Leggings und die Trainingsjacke passten nicht recht zum Solo der bösen Stiefmutter. Siljas Darbietung war von Anfang an schwung-los. Als sie zum dreifachen Salchow ansetzte, sah man sofort, dass das Tempo nicht reichen würde. Der Sprung war so niedrig angesetzt, dass Silja aus der Drehung heraus aufs Eis geschleudert wurde. Obwohl Spitzenläufer darauf trainiert sind, sich bei Stürzen nicht zu verletzen, knickte sie um, blieb sitzen und rieb sich den Knöchel. Rami Luoto war der Erste, der die Situation erkannte und aufs Eis lief.
    «Stellt die Musik ab!», rief er. Dann half er Silja auf und stützte sie, sodass sie auf dem unverletzten Bein an die Bande gleiten konnte.
    Ich stieg die Treppe hinunter, quälte mich über die Absperrung und ging durch die Sitzreihen. Silja hatte das Bein hochgelegt, Rami und Elena standen besorgt um sie herum.
    «Irina, hol im Café Eiswürfel!», ordnete Elena an.
    «Gebrochen ist er nicht, nur verstaucht. Ich fühle auch keine Schwellung», sagte Rami.
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