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Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte

Titel: Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Autoren: Torsten Fink
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Großvater jetzt an einer weit zurückspringenden Ecke der Mauer stand und nicht mehr sehr gut geeignet war, die Stadt und das Land zu überwachen. Für ihre Zwecke jedoch gab es keinen besseren Ort. Völlig außer Atem erreichte sie die obere Plattform. Eine Krähe flog mit missmutigem Krächzen auf. Maru blickte ihr hinterher. Es war der erste Vogel, den sie seit Tagen in der Stadt sah. Krähen galten in Ulbai inzwischen als Leckerbissen. Auf anderen Türmen sah sie Wachfeuer brennen, und zu ihren Füßen erwartete die Unterstadt den neuen Tag. Jenseits der äußeren Stadtmauer lag das weite, flache
Land im Morgendunst. Die Aussicht beeindruckte sie jedes Mal aufs Neue. Da war die Oberstadt mit ihren Steinhäusern, dem mächtigen Bet Kaidhan und dem Schirqu, dem hoch aufragenden Stufentempel der Hüter. Maru war, als würden sich ganz oben, auf dem Dach der obersten Plattform, einige schwarze Punkte bewegen. Sie hatte gehört, dass der Sterndeuter des Kaidhans von dort aus den Lauf der Gestirne beobachtete. Ein schwieriges und verantwortungsvolles Amt, denn seine Voraussagen hatten, wie man sagte, einiges an Gewicht bei Luban, dem Kaidhan des Reiches. Aber jetzt waren die letzten Sterne verblasst, und wenn Maru richtig sah, begannen die Punkte auch gerade den Abstieg über die lange Treppe. Sie blickte nach Westen. Unterhalb der Oberen Mauer begann das Gewirr der engen Gassen der Unterstadt, in denen sich weiße Lehmhütten aneinanderdrängten. Die Ulbaitai nannten diese Hälfte der Unterstadt die Weiße Seite, denn sie zog sich den Hügel hinab bis fast zum Weißen Dhanis. Es war die ruhigere Hälfte der Stadt. Dort wohnten niedere Verwalter, Schreiber und kleine Händler, die nicht bedeutend genug waren, um in der Oberstadt unterzukommen, aber zu wohlhabend, um noch auf der lebhafteren Schwarzen Seite mit ihrem Hafen und den geschäftigen Handwerkergassen leben zu müssen. Jenseits der äußeren Mauer folgte ein schmaler Gürtel von Feldern. Die niedergebrannten Hütten der Bauern und Fischer dort erinnerten Maru daran, dass Krieg herrschte und dass das Leben außerhalb der schützenden Mauern gefährlich war. Der Weiße Dhanis strömte ungerührt durch das stille Land. Jenseits davon begann das Wolfsfenn, jenes Sumpfgebiet, das sich ungezählte Tage weit nach Westen erstreckte, ein endloses Gewirr von Wasserwäldern, Schilfinseln, Moorlöchern und Teichen. Maru konnte den Rauch sehen, der, ein gutes Stück südlich, vom Lager der Serkesch aufstieg. Es lag beinahe außer Sichtweite, denn gegenüber der Stadt bot das Fenn kaum festes Land, jedenfalls nicht genug, um mehr als zwei
Zelte nebeneinander aufzustellen. Sie rieb sich die Augen. Die ganze Nacht war sie auf gewesen und hatte den Staub des Bet Schefir geschluckt. Und in den vier Nächten zuvor war es ebenso gegangen. Dicht unterhalb der Stadt zweigte ein kurzer und breiter Arm des Flusses nach Westen ab. Dort vermählte sich der Weiße mit dem Schwarzen Dhanis. Die Ulbaitai nannten dieses kurze Stück Strom mit ihrem nüchternen Sinn für das Naheliegende den Grauen Dhanis. Kein Fischerboot war zu sehen. Maru starrte nach Westen, hinaus ins Wolfsfenn, und suchte nach einer bestimmten kleinen Gruppe von Weiden. Da standen sie zwischen einigen schütteren Wasserwäldchen und ließen die Äste im Morgendunst hängen. Wenn geschah, worauf sie nun seit vier Nächten wartete, dann geschah es genau dort. Maru blickte nach Osten. Der Himmel verfärbte sich bereits und teilte sich in blassblaue und zartrosafarbene Streifen. Edhil war bereit, den Himmel zu betreten. Vom Norden tönte der leise Ruf eines Horns. Maru spähte hinüber. Ein brennender Pfeil stieg von der Mauer in die Luft. Vielleicht war dem Posten dort etwas aufgefallen, irgendein Ereignis im kleinen Lager, das die Serkesch auf den Hügeln jenseits des Kanals errichtet hatten. Etwas, das die Aufmerksamkeit der anderen Wachen verdiente. Sie beobachtete den Flug des rauchenden Pfeils, bis er aus ihrem Gesichtsfeld entschwunden war. Ulbai, die Hauptstadt des Akkesch-Reiches, lag auf dem südlichsten Ausläufer einer lang gezogenen Hügelkette, den Hlain Ulbas. Maru hatte sofort verstanden, warum die Dhanier einst diesen Ort für ihre Stadt gewählt hatten. Die Hügel boten fruchtbares und flutsicheres Land, und Dhanis beschützte sie auf beiden Seiten mit seinen starken Armen. Im Süden berührten sich die beiden Hauptarme des Flusses sogar, bevor sie, jeder für sich, dem Schlangenmeer zustrebten. Als die
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