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Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin

Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin

Titel: Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
Autoren: Torsten Fink
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sechste in dieser Runde war offensichtlich weder Soldat noch Schiffer; wer in sein greises und zerfurchtes Gesicht blickte, konnte feststellen, dass die Augenhöhlen des Mannes leer waren. Er war nicht einfach nur blind, sondern hatte keine Augen. Der Alte hielt einen langen Stab in den Händen, lächelte versonnen und schien dem prasselnden Feuer zuzuhören. Ein schwarzer Kochtopf hing über den Flammen, und der Geruch von gekochtem Lammfleisch verbreitete sich mit dem Gesang der Zikaden zwischen den Ruinen.
    Atib blickte unverwandt nach Osten, wo ein matter roter Schimmer den Horizont hinter den Hügeln erhellte. Er seufzte und schüttelte den Kopf. Dann stieg er von der Mauer und trat ans Feuer.
    »Fakyn, du bist ein Künstler nicht nur mit dem Speer, scheint mir«, sagte gerade der Blinde mit brüchiger Stimme, »ich rieche Lamm und Linsen und einige Kräuter, die ein Festmahl versprechen.«
    »Und du glaubst, wir geben dir was ab?«, brummte der große Krieger missvergnügt und warf ein Stück Holz ins Feuer.
    Der Alte lachte. »Du möchtest, dass ich für meine Mahlzeit bezahle, Fakyn?«
     
    »Worüber reden sie?«, fragte ein älterer Sklave im Verschlag.
    »Ich glaube, sie wollen, dass der alte Biredh etwas erzählt«, sagte ein anderer, »aber er ziert sich. Dyl will etwas über Boga und Arku
hören, und der dicke Kadar fragt nach dem Marsch der Akkesch. Ist ihm wohl beides nicht recht. Ich glaube, er hat Hunger und will lieber essen. Aber warte...«
     
    Unten am Feuer hatte der Erzähler einen eigenen Vorschlag unterbreitet. Dyl und Kadar wirkten nicht sehr begeistert, doch Fakyn, der Anführer der Krieger, stimmte zu. Der Alte räusperte sich, dann schien er sich zu verwandeln. Seine Gesichtszüge glätteten sich, seine Stimme, die eben noch leise und brüchig klang, wurde nun sanft und zugleich fest. Sie erfüllte die verbrannten Ruinen mit Leben, hallte von den Hängen der Anhöhen wider. Die Sklaven im Verschlag konnten jedes Wort verstehen.
    »Nun, gut, die Geschichte der Zwölf Städte. Wisset also: Vor unvorstellbar langer Zeit lebten die Menschen in immerwährendem Frieden und ewiger Eintracht in zwölf großen Städten. Sie befuhren das Meer, um zu fischen, bebauten ihre Felder, weideten ihr Vieh und brachten den Hütern – den erstgeborenen Göttern – ihre Opfer dar. Die Hüter hielten die Naturgewalten im Zaum, und die nachgeborenen Götter, die nur ihre Diener sind, folgten ihren Befehlen. Es waren Zeiten des Glücks, und die Menschen mehrten sich. Die Hüter walteten ihrer Aufgabe, wie es Edhil, der Tiefdenkende, der Schöpfer der Welt, ihnen aufgetragen hatte. Die Städte am Meer standen unter dem Schutz Alwas, und die Fischernetze waren immer gut gefüllt. Die schöne Hirth sorgte dafür, dass in den Ebenen die Herden gediehen und die Felder reiche Ernte trugen. Brond schützte die Siedlungen an den Hängen der Feuerberge, und unter seinem Segen schufen die Schmiede dort wunderbare Werkzeuge, die sie mit den anderen Städten tauschten. Die Bewohner der himmelnahen Berge jedoch huldigten Fahs, und seine Winde lehrten sie die Geheimnisse der Heilkunst und manch anderes Wissen, das nun verloren ist. Sie lebten gut, die Menschen unter dem Schutz der Hüter, und sie waren frei von Leid und Elend.«

    Der Alte schwieg und schien den Nachklang seiner Worte zu prüfen. Die Männer am Feuer hingen an seinen Lippen. Beide Wachen an Bord der Taube waren aus dem Schatten des Mastes getreten und lauschten nun, auf ihre Wurfspeere gestützt, dem Erzähler. Hinter ihnen drängten sich die Namenlosen, die Sklaven, an das Gitter. Auch Atib der Händler hörte der altbekannten Geschichte aufmerksam zu.
    »Dann aber«, fuhr der Erzähler fort, »kam Strydh, der letzte der erstgeborenen Götter, zu den Fürsten der zwölf Städte und sprach zu ihnen: ›Ein hartes Leben ist es, das ihr führt, nichts als Mühe und Schweiß, und es währt nur kurz. Ist es aber zu Ende, dann steigt ihr hinab in das Land ohne Wiederkehr und wartet im Staub der Totenstadt Ud-Sror auf das Vergessen. Und dieses ereilt euch schnell, denn wer entzündet Opferfeuer für euch, wenn eure Söhne erst einmal gestorben sind? Dann entschwindet euer Geist endgültig aus dem Kreis dieser Welt, und verloren seid ihr auf ewig.‹
    Und die Fürsten fürchteten sich.
    Strydh aber fuhr fort: ›Dies ist das Los der Menschen seit alters her, ich aber kann euch ein neues Leben zeigen. Wenn ihr mir folgt, werden eure Tage ruhmvoll sein, Gold und
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