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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher
Autoren: Richard Ungar
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dauern. Ich könnte natürlich in der Zeit nach vorne springen, doch wer weiß, wann ich das nächste Mal in China sein werde? Vielleicht sollte ich mich einfach entspannen und meinen Aufenthalt hier genießen.
    Der Park, dessen Eingangstor von hoch aufragenden steinernen Löwen eingerahmt wird, atmet Ruhe und Frieden. Genau die richtige Atmosphäre, um mich auf meine Mission einzustimmen. Ich bleibe für einen Moment auf einer zierlichen Holzbrücke stehen, die sich über einen mit Seerosen getupften Teich spannt. In der Nähe, auf einer Rasenfläche, bewegen ein paar Erwachsene in Trainingsanzügen in langsamen, anmutigen Bewegungen ihre Arme und Beine. Abbie wäre von diesem Ort begeistert. Doch sie wurde im letzten Moment als dritter Agent nach London abkommandiert. Dort soll sie im Jahr 1671 die Kronjuwelen aus dem Tower stehlen. Wir befinden uns also gerade in verschiedenen Jahrhunderten. Das kommt schon mal vor.
    Endlich setzt die Dämmerung ein. Es ist an der Zeit, meinen Auftrag zu erledigen. Als ich erneut den großen Platz betrete, registriere ich jede Kleinigkeit mit höchster Aufmerksamkeit: den Geruch dieser schrecklichen Blumen, das Gelächter einer kleinen Touristengruppe. Sogar meine Schritte auf dem Beton spüre ich deutlicher als sonst. Onkel sagt, dass die Japaner ein eigenes Wort für diese gesteigerte Wahrnehmung haben: Zanshin. Ich nenne sie einfach Alarmbereitschaft.
    Vor der Großen Halle stehen nur noch zwei Touristenbusse. Ich vergewissere mich, dass niemand darin ist, husche in die schmale Lücke zwischen den beiden Fahrzeugen und gehe in die Hocke. Schon möglich, dass mich hier jemand sieht, aber nicht sehr wahrscheinlich. Außerdem bin ich für andere Leute ziemlich uninteressant – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich in Luft auflösen werde.
    Doch was ich als Nächstes zu sehen bekomme, stimmt mich nachdenklich. Die Soldaten mit den glänzenden Stiefeln und spitzen Bajonetten sind immer noch vor dem Bronzeportal der Großen Halle postiert. Dann fällt mir das feierliche Galadiner ein, das zu Ehren der beiden Staatsmänner stattfindet.
    Aber davon brauche ich mich nicht stören zu lassen. Schließlich will ich ja nicht in das Gebäude hinein, sondern nur auf sein Dach.
    Ich reibe mir gähnend die Augen. Jeder, der mich sieht, wird mich für einen ganz normalen Touristen halten, dem nach einem langen Tag auf den Beinen die Füße wehtun. So sehe ich nämlich auch aus: ein Freundschafts-T-Shirt, Jeans, Sandalen und ein grüner Rucksack, der seine besten Tage bereits hinter sich hat.
    Durch das Reiben meiner Augen stelle ich mein implantiertes Okular auf Nachtsicht.
    Der nächste Soldat der Ehrengarde steht knapp zwanzig Meter von mir entfernt. Ich zoome ihn so nah heran, dass ich die winzigen Bartstoppeln auf seiner linken Wange erkenne, die er bei seiner morgendlichen Rasur übersehen hat.
    Ein lautes Geräusch lässt mich aufblicken. Der Hubschrauber, der alle fünf Minuten seine Runden dreht. Mehr Zeit bleibt mir nicht, um den geplanten Diebstahl in die Tat umzusetzen.
    Showtime.
    Ich klopfe ein paar Mal auf mein Handgelenk. Das aktiviert den Zeitreisechip, der sich unmittelbar unter meiner Haut befindet. Es wird nur ein Katzensprung sein. Zwanzig Meter nach vorn, dreißig Meter nach oben und vier Sekunden voraus in die Zukunft.
    Als ich meine Augen schließe, spüre ich die vertrauten Begleiterscheinungen eines Zeitsprungs: Schwindel, Aufregung und dann Orientierungslosigkeit, weil ich zunächst nicht weiß, wo ich bin.
    Ich lande auf dem Dach, liege flach auf dem Bauch und bin fast völlig bewegungsunfähig. So ist das immer, nachdem ich gerade einen Zeitsprung hinter mir habe. Ich bin mir nicht sicher, warum, doch es hat bestimmt etwas damit zu tun, dass mein Körper ein wenig braucht, um sich an die Umstellung zu gewöhnen. Glücklicherweise hält dieser Zustand nie lange an, maximal zwei, drei Sekunden.
    Der Zustand der Lähmung klingt ab, doch für ein paar Sekunden rühre ich mich nicht vom Fleck und lausche. Nur das ferne Rauschen des Verkehrs jenseits des Platzes dringt zu mir herüber. Ich richte mich ein wenig auf und lasse meinen Blick schweifen, um mich zu orientieren. Ich befinde mich ungefähr in der Mitte des Daches. Mit eingezogenem Kopf krieche ich der Vorderseite des Gebäudes entgegen.
    Dort, zwischen der amerikanischen und der chinesischen Flagge, befindet sich die große Freundschaftsfahne. Jetzt, so nahe an der vorderen Kante des Daches, muss ich
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