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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin
Autoren: Federica de Cesco
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mit dem Lift hinunter in die Halle.
    Sie saß in einem der niedrigen Sessel und rauchte. Thubten erkannte sie auf den ersten Blick. Sie erschien ihm überaus zerbrechlich mit ihren schmalen Wangen, ihren feinen Zügen und den langen Beinen. Ihre Brauen waren dicht und schwarz, sie sah blaß aus, war aber durchaus nicht ärmlich gekleidet. Ihre Steppjacke und ihre hochhackigen Schuhe schienen neu. Sie trug, wie alle modebewußten Chinesinnen in Lhasa, eine Steghose aus schwarzem Nylon. Auf Thubten wirkten ihre Kleidung und ihr Auftreten eher unbescheiden. Ihre Nägel waren dunkel lackiert, ihre Lippen bemalt und das Muttermal schwarz betont. Ihre Hände waren klein und ausdrucksvoll, sehr weiß, so daß die Haut fast durchscheinend schimmerte. Ihr Haar hatte sie straff nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug, von Goldohrringen abgesehen, keinen Schmuck.
    »Ich setzte mich zu ihr«, schrieb Thubten, »und bestellte den rauchigen chinesischen Tee, den ich nicht mochte. Wir sagten, was die Höflichkeit erforderte. Chodonlas leise Stimme war kalt, ihr Ausdruck verschlossen. Sie musterte mich verstohlen. Das Gespräch kam nur stockend in Gang. Sie sagte, daß sie meine Briefe nie erhalten habe. Viele Briefe gingen auf dem Postamt verloren oder wurden konfisziert. Sie lachte, während sie sprach, in jener verkrampften Art, in der man über ein Unglück lacht. Das Telegramm war ihr zugestellt worden; offenbar war dem Postbeamten ein Fehler unterlaufen. Dabei zuckten ihre Mundwinkel höhnisch. Ich bat sie, von sich zu erzählen. Sie antwortete im Ton einer Wetterprognose. >Ich bin in einem Kinderheim in Peking 15
    großgeworden und besuchte die Schule der Nationalitäten, wo ich chinesisch sprechen und schreiben lernte. Ich wurde als Lehrerin ausgebildet und beendete mein Studium auf einer Universität. Seit drei Jahren bin ich wieder in Lhasa. Ich unterrichte an einer Mittelschule.< Ich sah in das elfenbeinhelle Gesicht mit den roten Lippen und den seltsam glitzernden Augen. Ihre Worte sagten kaum etwas aus. Ich fühlte in ihr eine große Traurigkeit; es war, als verströme sie Kummer mit jedem Atemzug. Alte Menschen spüren solche Dinge. Aber gleichzeitig war da noch eine verbissene Kampfeslust und der besondere Mut der Verzweiflung. Ja, ja, meinte ich, das alles sei uns bekannt. Aber wie ging es weiter? Sie drückte ihre Zigarette aus, griff nach einer neuen. Ich sah, daß ihre Hände leicht zitterten. Sie hielt ihr Gesicht ein wenig abgewandt, als strebe sie von mir fort. Und obwohl ihre Stimme erstickt klang und auch jetzt noch ohne Modulation blieb, oder vielmehr gerade deswegen, erschien sie mir besonders erschreckend. Auf der Universität lernte sie Norbu kennen; man hatte ihn als Zehnjährigen von der Familie getrennt und – ebenso wie sie – im >Mutterland< kommunistisch erzogen. Jahre später, in Lhasa, sah sie ihn wieder. Er hatte einen Zweijahresvertrag in Chamdo hinter sich und war jetzt im Rahmen eines Regierungsprogramms nach Lhasa versetzt worden.
    >Wir stellten ein Gesuch. Man erlaubte uns zu heiraten. Wir bekamen ein Zimmer in unserer gemeinsamen Arbeitseinheit.< Ein plötzlicher Hustenanfall schüttelte sie. Sie lehnte sich über den Spucknapf aus Emaille neben dem Tisch. Ihr Taschentuch war mit Lippenstiftspuren verschmiert. Ihr Husten gefiel mir nicht. Ob sie erkältet sei? Sie verneinte. Nur der Staub, weiter nichts. Tatsächlich nahte der Frühling; Staubstürme wirbelten hoch über die Dächer, der Himmel war gelblich verfärbt. Auch ich verließ nicht das Hotel, ohne mir vorher einen Schal um Mund und Nase gebunden zu haben.
    Ich fragte, ob ich ihren Mann treffen könnte. Sie preßte die Lippen zusammen und starrte auf ihre Zigarette. Er sei tot, sagte sie. Im Gefängnis umgekommen. Von den Chinesen ermordet? Chodonla schüttelte den Kopf. Nein, er hatte sich das Leben genommen. Ich äußerte meine Betroffenheit. Im alten Tibet galt Selbstmord als schweres karmisches Vergehen. Chodonla verzog keine Miene. Ihr Gesicht glich einer Maske, in der sich nur die Lippen bewegten.
    Auch sie war eingesperrt worden, ein paar Monate später aber freigekommen. Sie lebte jetzt allein mit ihrer kleinen Tochter Kunsang. Ihre Arbeit als Lehrerin hatte sie aufgeben müssen, doch 16
    sie kam gut zurecht, und für das Baby war gesorgt. Sie erzählte sehr sachlich, und in ihren Augen stand Kälte. Ich sagte ihr, daß sie einen Paß beantragen sollte. Wieder glitt der höhnische Ausdruck über
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