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Die Therapie: Psychothriller (German Edition)

Die Therapie: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Sebastian Fitzek
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sah fassungslos in Dr. Grohlkes Gesicht und versuchte, das soeben Gehörte zu verstehen.
    »Ich habe Josy heute nicht behandelt. Sie war nicht bei mir.«
    Die Worte des Arztes kämpften gegen ein durchdringendes, nervtötendes Geräusch an, das Larenz plötzlich aus einiger Entfernung hörte, und das immer lauter wurde.
    »Was wollt ihr von mir?«, rief er verzweifelt. »Natürlich ist sie in den Behandlungsraum gegangen. Ihr habt sie doch aufgerufen. Ich war nebenan und hörte den Mann vom Empfang ihren Namen rufen. Sie wollte doch heute allein in die Sprechstunde gehen. Darum hatte sie mich gebeten. Sie ist ja gerade zwölf geworden, wisst ihr? Sie schließt seit kurzem auch die Badezimmertür hinter sich ab. Und deshalb habe ich mir, als ich ins Wartezimmer zurückkam, gedacht, sie sei bereits im Sprechzimmer.«
    Viktor öffnete den Mund und merkte auf einmal, dass er kein einziges dieser Worte gesagt hatte. Sein Verstand arbeitete, jedoch war er offensichtlich nicht mehr in der Lage, sich zu artikulieren. Er sah sich hilflos um und hatte das Gefühl, die Welt wie in Zeitlupe zu sehen. Das nervtötende Geräusch wurde immer aufdringlicher und übertönte fast den Lärm um ihn herum. Er spürte, dass alle auf ihn einredeten: Maria, Dr. Grohlke und sogar einige Patienten.
    »Ich habe Josy seit einem Jahr nicht mehr gesehen«, waren die letzten Worte Dr. Grohlkes, die Viktor noch deutlich vernehmen konnte. Und dann wurde ihm plötzlich alles klar. Für einen kurzen Moment wusste er, was passiert war. Die schreckliche Wahrheit blitzte auf, so flüchtig wie ein Traum in der Sekunde des Erwachens. Und ebenso rasch entglitt sie ihm auch wieder. Für den Bruchteil eines Augenblicks verstand er alles. Josys Krankheit. Woran sie die vergangenen Monate so schwer gelitten hatte. Plötzlich sah er, was passiert war. Was man ihr angetan hatte. Er musste würgen, als ihm klar wurde, dass sie jetzt auch hinter ihm her sein würden. Sie würden ihn finden. Früher oder später. Er wusste es. Doch dann entglitt ihm die entsetzliche Erkenntnis. Sie verschwand wieder. So unwiederbringlich wie ein einzelner Wassertropfen im Abfluss.
    Viktor schlug sich mit beiden Händen an die Schläfen. Das durchdringende, quälende, entsetzliche Geräusch war jetzt ganz nah bei ihm und nicht mehr auszuhalten. Es glich dem Wimmern einer gefolterten Kreatur und hatte kaum etwas Menschliches an sich. Und es erstarb erst, als er nach langer Zeit seinen Mund wieder schloss.

1. Kapitel
    Heute, einige Jahre später
    V iktor Larenz hätte nie gedacht, dass er einmal die Perspektive wechseln würde. Früher stand das schmucklose Einzelzimmer der Weddinger Klinik für psychosomatische Traumata seinen schwierigsten Patienten zur Verfügung. Heute lag er selbst auf dem hydraulisch verstellbaren Krankenbett, die Arme und Beine mit grauen, teilelastischen Bändern fixiert.
    Niemand war bisher zu Besuch gekommen. Weder Freunde, ehemalige Kollegen noch Verwandte. Die einzige Abwechslung, außer der Möglichkeit, auf eine vergilbte Raufasertapete, zwei speckige braune Vorhänge und eine wasserfleckige Zimmerdecke zu starren, war Dr. Martin Roth, der junge Oberarzt, der zweimal täglich zur Visite erschien. Niemand hatte bei der Leitung der psychiatrischen Anstalt einen Besucher-Antrag gestellt. Noch nicht einmal Isabell. Viktor hatte es von Dr. Roth erfahren, und er konnte es seiner Frau auch nicht verübeln. Nach allem, was vorgefallen war.
    »Wie lange ist es jetzt her, dass meine Medikamente abgesetzt worden sind?«
    Der angesprochene Oberarzt kontrollierte gerade den Tropf mit der Elektrolyt-Kochsalzlösung, der am Kopfende des Bettes an einem dreiarmigen Metallständer hing. »Etwa drei Wochen, Dr. Larenz.«
    Viktor rechnete es dem Mann hoch an, dass er ihn noch immer mit seinem Titel anredete. In all den Unterhaltungen, die sie in den letzten Tagen geführt hatten, war er von Dr. Roth immer mit dem größtmöglichen Respekt behandelt worden.
    »Und seit wann bin ich wieder ansprechbar?«
    »Seit neun Tagen.«
    »Aha.« Er machte eine kurze Pause.
    »Und wann werde ich entlassen?«
    Viktor sah, wie Dr. Roth über diesen Scherz lächeln musste. Sie wussten beide, dass er niemals entlassen werden würde. Zumindest nicht aus einer vergleichbaren Einrichtung dieser Sicherheitsstufe.
    Viktor sah auf seine Hände und rüttelte leicht an den Fesseln. Anscheinend war man aus Schaden klug geworden. Bereits bei seiner Einlieferung hatte man ihm Gürtel und
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