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Die Sündenheilerin (German Edition)

Die Sündenheilerin (German Edition)

Titel: Die Sündenheilerin (German Edition)
Autoren: Melanie Metzenthin
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Wahl«, sagte sie. »Natürlich, sie ist noch sehr jung, hat aber bereits eine beachtliche Frömmigkeit und Unanfechtbarkeit bewiesen, die sie mehr als manch andere für eine Aufgabe außerhalb unserer Mauern befähigt. Ich habe niemals ein Mädchen kennengelernt, das mehr von seiner Berufung durchdrungen war.« Die ehrwürdige Mutter lächelte. »Zudem wird es für dich einfacher sein, wenn du dich auf ihre vertraute Stärke verlassen kannst.«
    Lena nickte. Trotz der Gewissheit, eine Freundin zur Seite zu haben, rumorte es in ihren Eingeweiden. Die bevorstehende Reise erfüllte sie mit einer kaum fassbaren Angst. Auf einmal begriff sie, dass ihre Tante recht gehabt hatte. Sie versteckte sich in diesem Kloster, weil sie die Welt da draußen fürchtete.
    »Die Mutter Oberin hat was gesagt?« Schwester Margarita starrte Lena mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Der Graf von Birkenfeld hat um meine Hilfe nachgesu…«
    »Nein, nicht das«, unterbrach Margarita sie ungehalten. »Wieso soll ausgerechnet Ludovika dich begleiten? Dieses unreife Küken, das erst vor drei Monaten die Profess abgelegt hat?« Die alte Nonne schnaubte verächtlich. »Wie soll dieses Kind sich in der Welt zurechtfinden und dir eine Hilfe sein? Mich hätte die Mutter Oberin erwählen sollen, ich würde schon gut auf dich achtgeben.«
    »Vielleicht ist es Ludovikas Verschwiegenheit, die unsere ehrwürdige Mutter Oberin schätzt.« Kaum waren ihr die Worte entschlüpft, hätte Lena sich für ihre unbedachte Äußerung ohrfeigen mögen. Schwester Margarita sog empört die Luft ein. »Da beginnt die Sünde schon. Kein Respekt mehr vor den Älteren.« Ohne ein weiteres Wort rauschte sie davon. Lena seufzte. Es hatte nicht in ihrer Absicht gelegen, ihre Tante zu kränken, aber manchmal ging die Zunge mit ihr durch. Es war nur tröstlich, dass Schwester Margarita nicht zu den Menschen gehörte, die lange grollten oder nachtragend waren.
    Schwester Ludovika nahm die Neuigkeit mit erstaunlicher Gelassenheit auf. Nach den Anzeichen von Überraschung, Vorfreude oder gar Furcht suchte Lena vergebens. Ludovikas dunkelblaue Augen waren wie ein ruhender See, den seine eigene Tiefe vor den Unbilden aller Stürme bewahrte.
    »Du wirst der Gräfin Frieden schenken«, sagte sie mit einer Bestimmtheit, die keinen Zweifel an Lenas Fähigkeiten zuließ. Manchmal hatte Lena das Gefühl, erst das Vertrauen der anderen bringe ihre Gabe zum Erblühen und Ludovikas Zuversicht sei der Nährboden, aus dem sie ihre Kraft zog. Ob das der wahre Grund war, warum die Äbtissin ausgerechnet die jüngste Ordensschwester zu ihrer Begleitung bestimmt hatte?
    »Weshalb bist du dir so sicher?«
    Ein leises Lächeln umspielte Ludovikas Lippen. »Weil Gott durch dich wirkt. Er hat dich geprüft und auserwählt.«
    In dieser Nacht fand Lena kaum Schlaf. Unruhige Traumgebilde umschlangen sie, ohne erkennbare Gestalt anzunehmen. Mehrfach erwachte sie, das Laken schweißnass, doch nie vermochte sie zu sagen, welcher Alb sie in seinen Klauen gehalten hatte. Erst als das Zwielicht des nahenden Morgens seinen schwachen Schimmer in ihre Zelle warf und die Laudes ankündigte, fand sie zu ihrer inneren Ruhe zurück. Das kühle Wasser der Waschschüssel schwemmte den letzten Albdruck hinfort und gab ihr die Kraft zurück, für die sie bekannt war. Hastig warf sie die Suckenie über, flocht ihr langes dunkelblondes Haar zu einem dicken Zopf und verbarg es mit geübter Hand unter dem Gebände. Dann schloss sie sich den Schwestern zur Morgenandacht an.
    Bereits eine Stunde später saß sie mit Ludovika in dem Gefährt, das der Graf ihnen geschickt hatte. Auf den ersten Blick ein einfacher Leiterwagen, dessen Sprossen mit Weidenzweigen verflochten waren. Über zwei hohen Gurtbögen spannte sich eine Wagendecke aus dünnem Rindsleder, die sowohl vor Sonne als auch vor Regen schützen sollte. Doch die hölzernen Bänke waren mit Hirschfellen bezogen, und darauf lagen weiche Kissen. Das Rascheln verriet die Daunenfüllung.
    Zwei Mägde hatten sie mit einem schwankenden Knicks begrüßt und sich dann stumm im hinteren Teil vor Körben mit Brot und Krügen auf den Boden gesetzt. Als sollten sie ihnen aufwarten und gleichzeitig der Schicklichkeit Genüge tun. Draußen riefen Männer Befehle, Hufe schlugen aufs Pflaster, als sich das Tor öffnete. Die Leibwache. Der Graf war ein aufmerksamer Gastgeber. Trotzdem spürte Lena das Rütteln im ganzen Leib, als die Ochsen unter dem Gebrüll ihres Treibers den
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