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Die Sündenheilerin (German Edition)

Die Sündenheilerin (German Edition)

Titel: Die Sündenheilerin (German Edition)
Autoren: Melanie Metzenthin
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sanft über den Stumpf seines Beines, mehr, um ihm das Gefühl zu geben, sie tue etwas gegen sein Leid, als dass es tatsächlich einen heilenden Nutzen gehabt hätte. Seine Züge entspannten sich merklich.
    »Gott wird dir dein Leiden nehmen, wenn du es ihm wohlgefällig als Opfer darbietest. Bring dem heiligen Fridolin von Säckingen eine Gabe in Form eines geschnitzten kleinen Beines dar, gefertigt von deinen eigenen Händen, und der Schmerz wird vergehen.«
    Nachdem der Einbeinige fort war, lugte Lena aus der Tür des Besucherraumes. Schwester Ludovika schüttelte kaum merklich den Kopf. Für heute warteten keine Leidenden mehr. Lena wollte das kleine Gemach gerade verlassen, als die äußere Tür aufflog und eine stattliche Nonne mit der Gewalt eines Herbststurmes in den Vorraum rauschte. Ludovikas Schleier wehte, als die massige Schwester an ihr vorüberstürmte und geradewegs auf Lena zuhielt.
    »Helena, die ehrwürdige Mutter wünscht dich umgehend zu sprechen.«
    Lena lächelte. Das war Schwester Margarita, wie sie leibte und lebte, ihre geliebte Großtante, die selbst nach dreißig Jahren im Kloster jedem Marktweib im Feilschen überlegen war und sich nicht scheute, im Namen des Herrn mit Pferdemist nach Lausbuben zu werfen, die es wagten, im Klostergarten Äpfel zu stehlen.
    »Was wünscht die Mutter Oberin von mir?«
    »Wenn ich das wüsste.« Ratlos schlug Margarita die Hände zusammen.
    »Wenn du es nicht weißt, verehrte Tante, so muss es in der Tat ein großes Geheimnis sein.«
    Schwester Ludovika verbiss sich das Lachen.
    »Komm, Kind, wir wollen die ehrwürdige Mutter Clara nicht warten lassen.« Die alte Nonne zerrte an Lenas Hand, ganz so, als fürchte sie, Lena könne ihr davonlaufen. Vermutlich ging es Margarita weniger um die ehrwürdige Mutter als um die eigene Neugier. Dazu passte ihr aufgeregter Wortschwall, während sie Lena durch die weiten Gänge des Klosters begleitete.
    »Gewiss will sie von dir wissen, ob du dich endlich für ein dauerhaftes Leben in der Gemeinschaft entschieden hast. Es ist jetzt ein Jahr her.«
    »Das glaube ich nicht. Sie würde keine Entscheidung fordern, die ich noch nicht zu treffen bereit bin.«
    »Aber wie soll es dann mit dir weitergehen, Kind? Du kannst dich hier nicht für alle Zeiten vor der Welt verstecken.«
    »Ich verstecke mich vor niemandem.«
    »Und doch hast du das Kloster seit damals nicht mehr verlassen. Warum willst du kein Gelübde ablegen? Den Menschen könntest du genauso gut helfen, wenn du dem Orden beitrittst.«
    Lena schwieg. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr nicht behagte. Sie war dankbar, in Sankt Michaelis eine Zuflucht gefunden zu haben, aber tief im Innern widerstrebte es ihr, den Schleier zu nehmen. Sie hatte nie eine Berufung verspürt. Unter gewöhnlichen Umständen hätte sie niemals den Weg ins Kloster gefunden.
    Schwester Margaritas Gedanken waren glücklicherweise längst in eine andere Richtung gewandert. »Möglicherweise braucht die ehrwürdige Mutter wieder deine Hilfe. Es heißt zwar, du hättest ihre Krankheit geheilt, aber wer weiß … Ob sich ein solches Leiden wirklich jemals ganz kurieren lässt?«
    Lena war das anzügliche Augenrollen ihrer Großtante nicht entgangen. »Aber verehrte Tante, muss ich dich an die Worte des Herrn erinnern? Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«
    »Habe ich je einen Stein geworfen?« Schwester Margarita hielt in ihrem schnellen Schritt inne und stemmte die Hände wie ein Marktweib in die breiten Hüften. »Nein, ich hatte stets das Wohl der Mutter Oberin im Sinn. Und sei ehrlich, Kind, hättest du ihr helfen können, wenn nicht an die Oberfläche gekommen wäre, was die Seele unserer ehrwürdigen Mutter bedrückte?«
    Gegen ihren Willen musste Lena lächeln. Ihre Tante hatte eine ganz eigene Art, ihre Klatschsucht als Werkzeug Gottes darzustellen. Wirklich böse konnte ihr niemand sein, wenngleich Margarita zuweilen recht peinliche Einzelheiten aus dem Leben anderer preisgab.
    Die Mutter Oberin erwartete Lena in ihren Räumlichkeiten. Es war nicht das erste Mal, dass Lena die Wohnung der Äbtissin betrat, aber sie war jedes Mal aufs Neue fasziniert, in welcher Weise die ehrwürdige Mutter das Gebot der Armut und Besitzlosigkeit auslegte. Den Boden bedeckten kostbare orientalische Teppiche, Geschenke ihres ältesten Bruders, der am vorletzten Kreuzzug teilgenommen hatte. Die Möbel aus poliertem Nussbaumholz waren fein gedrechselt, das Schreibpult der Oberin
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