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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel
Autoren: Charlotte Link
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aussah. Seine Augen waren von einem so tiefen Braun, daß sie schwarz wie Kohle wirkten. Er besaß ein Lächeln, mit dem er jeden zu umarmen schien, dem er es schenkte. Zeitlebens würde er fremde Menschen in Sekundenschnelle für sich gewinnen können. Unglücklicherweise würde ihm diese Fähigkeit das Leben jedoch keineswegs leichter machen.
    »Sie wissen doch, was für Leute auf dieser Farm sind? Drogenabhängige. Kriminelle. Alkoholiker. Das einfache
Leben auf dem Land in einer kleinen Gemeinschaft, die Verantwortung für Tiere, die harte Arbeit auf dem Feld soll ihnen den Weg zurück ins bürgerliche Leben ermöglichen. Es mag sein, daß das manchem hilft, aber...«
    »Projekte dieser Art haben sich bereits sehr bewährt.«
    »Ja. Aber ich bin doch ohnehin gesund. Wozu muß ich einen Acker pflügen und auf einer Holzpritsche schlafen?«
    »Die anderen jungen Leute, die dorthin kommen, sind auch nicht mehr krank«, sagte Echinger. »Es sind ehemalige Drogenabhängige. Ehemalige Alkoholiker. Ehemalige Kriminelle. Sie müssen nun lernen...«
    »Ehemalige Kriminelle«, unterbrach Maximilian. »Wie ich.«
    »Sie sind vierundzwanzig Jahre alt. Erwachsen. Und frei. Aufgrund mehrerer voneinander unabhängiger Gutachten hat das Landgericht die Aussetzung Ihrer Unterbringung hier bestimmt. Niemand kann Sie zwingen, irgendwohin zu gehen, wohin Sie nicht wollen. Sie unterliegen einer gewissen Kontrolle durch Ihre Führungsaufsicht, und die hat dem Schottland-Plan zwar zugestimmt, wird ihn aber nie gegen Ihren Willen durchsetzen wollen. Sie können nein sagen.«
    Maximilian lächelte. »Theoretisch vielleicht. Aber wie sehen denn meine Lebensumstände aus, wenn ich diese Mauern hier verlasse? Ich habe keinen Schulabschluß, geschweige denn eine Ausbildung. Ich habe kein Geld. Dafür habe ich Papiere, die einen sechsjährigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik belegen. Ganz abgesehen von...« Er biß sich auf die Lippen.
    »Ja?« sagte Echinger.
    »Das, weswegen ich überhaupt hierhergekommen bin«, sagte Maximilian leise.
    Echinger schaute auf die kleine Uhr, die vor ihm auf
einem Tisch stand und es ihm ermöglichte, die Zeit zu kontrollieren, ohne den Patienten nervös zu machen - wie er es mit einem Blick auf eine Armbanduhr getan hätte. »Unsere Zeit ist leider vorbei. Ich werde mit Sicherheit noch einmal mit Ihrem Vater sprechen.«
    »Das wird nichts nützen. Er will mich so weit weg haben, wie es nur geht. Schottland! Eine abgelegene Farm irgendwo in der Einsamkeit. Glauben Sie, die hat er zufällig gewählt? Eigentlich ein Wunder, daß er mich nicht gleich nach Amerika schickt!« Maximilian ging zur Tür. Der Professor erhob sich, nahm die Brille ab. Es war ein Privileg, das wußte Maximilian, hier in der Klinik von Echinger selbst therapiert zu werden. Der Mann hatte hohe Qualitäten. Das Problem war, daß sein Einfluß spätestens am Ende der Auffahrtsallee seines Herrenhauses endete. Er konnte einen Patienten auf die Füße stellen, mußte ihn dann jedoch alleine laufen lassen. Maximilian hatte plötzlich das Gefühl, als lauere jenseits dieser wilden, regennassen Einsamkeit um ihn herum eine Welt, die außer Gefahr und Feindseligkeit nichts bereit hielt - und mit der er nach den Jahren der Geborgenheit nicht würde zurechtkommen können. Für Sekunden überschwemmte ihn die Panik, die er hier erst kennengelernt, gegen die er während des letzten Jahres bis zur völligen Erschöpfung gekämpft hatte. Er spürte, wie er bleich wurde. Auch dem Professor war der kritische Moment nicht entgangen.
    »Ihr Bruder«, sagte er, »Ihr Zwillingsbruder... er will Sie doch zu Hause haben, oder?«
    Maximilian, die Hand schon auf der Türklinke, drehte sich um. »Mario... ich weiß nicht. Er ist verändert seit einiger Zeit. Irgend etwas... er spricht nicht darüber. Ich habe das Gefühl, er entfernt sich von mir.« Er verließ den Raum, die Tür fiel hinter ihm zu.

    Nachdenklich trat der Professor an seinen Schreibtisch, nahm ein großes, ledergebundenes Notizbuch aus der Schublade und begann, ein paar Informationen aus der vergangenen Stunde schriftlich festzuhalten. Er fragte sich, warum er sich auf einmal so müde fühlte. So mutlos und alt.
    Er legte den Stift weg, stand auf, trat ans Fenster und öffnete es. Tief atmete er die frische, feuchte Luft.
    Es hatte ihn immer deprimiert, einen Patienten hergeben zu müssen. Kritisch, wie er sich selbst gegenüber zu sein pflegte, sagte er sich oft, daß er damit in ein
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