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Die Suche

Die Suche

Titel: Die Suche
Autoren: Katja Piel
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hatte das dichte Gebüsch ihn geschluckt.
    Rosa blieb zurück und lauschte auf die Geräusche des Waldes. Ein leichter Wind bewegte die Baumkronen. Ein Ästchen zerbrach unter dem Tritt eines Tieres. Sie witterte. Wildschwein vermutlich. Es gab viele Eichen in diesem Teil des Waldes.
    Johann stöhnte und schlug fahrig um sich. Die Kraft wich aus seinem jungen Körper. Er würde Glück brauchen, um den Sonnenaufgang zu erleben.
    Sie sah auf ihn hinunter. Sie müsste ihn nur beißen, und plötzlich hätte er eine Chance, die Krankheit zu besiegen.
    Warum konnte es eine Sünde sein, jemanden zu heilen? Warum musste sie zur Hölle fahren, wenn sie den jungen Mann nicht sterben ließ?
    Sie rief sich zur Ordnung. Werwölfe waren nun einmal Kreaturen, die abseits des göttlichen Plans entstanden waren. Zwischenwesen, Zwitter. Für sie galten strenge Regeln. Ein Werwolf zu sein war keine interessante Eigenschaft. Es war ein Fluch, und nur die Stärksten schafften es, der Versuchung zu widerstehen.
    Wahrscheinlich war es für Johann besser, in Frieden zu sterben, als ein unendliches Leben unter dem Fluch zu verbringen. Er wirkte wie ein vernünftiger junger Mann, aber Rosa wusste, dass der erste Eindruck oftmals täuschte. Niemand konnte wissen, zu welcher Bestie er sich womöglich entwickelte, wenn er lange genug Zeit hatte und verzweifelt genug war.
    Der Wolf brachte die hässlichen Seiten eines Menschen zuverlässig zum Vorschein.
    Sie nahm den nassen Stoff von seiner Stirn und fächelte ihm Luft zu. Johann bewegte die ausgetrockneten Lippen. Rosa flößte ihm Wasser ein, doch das meiste lief ihm aus dem Mundwinkel, ohne dass er es schluckte.
    Die Nacht schritt voran, und Johanns Leben neigte sich dem Ende zu. Er wurde ruhiger. Ein beinahe friedlicher Ausdruck lag auf seinem fahlen Gesicht.
    Rosa wartete.
    Der Himmel färbte sich hinter den Baumwipfeln bereits rosa. Die ersten Vögel begannen ihr Morgenkonzert, und immer noch waren weder Mattis noch Anna zurück. Das Lagerfeuer war zu grauer Asche zerfallen, unter der die Glut schlummerte.
     
    Als Rosa Witterung aufnahm, war es schon beinahe zu spät. Der Wind stand ihr im Rücken, und so roch sie die Herannahenden kaum, bevor sie sie hörte. 

6. Kapitel
    Köln im Sommer 1605
    « Nicht töten. Deine Seele... »
     
    Eine Meute jagte dort durch den Wald, vier, fünf Werwölfe mindestens. Rosa sprang auf die Beine und streifte in aller Eile ihre Kleidung ab. Der vertraute Geruch von Mattis war dabei, und auch Annas Duft wehte zu ihr herüber.
    Rosa warf sich in ihre Wolfsgestalt.
    Kaum berührten ihre Pfoten den Boden, hörte sie wildes Knurren und das Brechen von Ästen. Dann sprangen Kreaturen zwischen den Bäumen hervor, ungelenk, aber schnell, mit entblößten Fangzähnen, von denen der Geifer troff. Vor ihnen eine helle, schlanke Wölfin, die dicht über dem Boden zwischen den Bäumen hindurch jagte.
    Rosa machte sich zum Sprung bereit.
    Die letzte Glut im Lagerfeuer wurde durch eine riesige Pranke zermahlen. Wie ein Baum ragte der Werwolf vor ihr auf. Eine heiße, klare Wut erfasste Rosa. Sie würde nicht spielen. Wer sich mit ihr anlegte, musste eine bittere Rechnung begleichen.
    Sie verzichtete auf Knurren oder Drohgesten. Sie fiel den Werwolf an uns verbiss sich in seine Leistengegend. Die zähe Haut riss unter ihren Fangzähnen, und warmes, klebriges Blut spülte ihr über die Nase. Sie schüttelte wild den Kopf, die Kiefer um das Opfer geklammert wie ein Schraubstock.
    Der Werwolf schrie und taumelte rückwärts. Muskeln rissen zwischen Rosas Zähnen. Sie ließ los, und der Werwolf stürzte nach hinten um. Wie der Wind war sie auf ihm und ging ihm an die Kehle, doch ehe ihre Kiefer festen Halt finden konnten, packte er sie mit seinen riesigen Klauen und schleuderte sie hoch in die Luft. Im Fallen drehte sie sich und landete auf den Pfoten, stieß sich sofort wieder vom Boden ab und sprang ihren Gegner erneut an.
    Diesmal erwischte sie ihn im Gesicht. Der Werwolf kreischte, als sich ihre Zähne durch seine Augen hindurch in den Schädel bohrten. Seine Klauen rissen an ihrem Fell, doch sie spürte den Schmerz kaum.
    Nicht töten , warnte eine Stimme in ihrem Kopf. Sie klang ein wenig wie die von Imagina. Nicht töten. Deine Seele...
    Mühsam löste sie ihre Kiefer und ließ von dem Werwolf ab. Der zog sich wimmernd und auf allen Vieren ins Gestrüpp.
    Rosa sah sich um.
    Anna wurde von zwei Werwölfen attackiert. Einer beugte sich über Johann. Von Mattis war
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