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Die Suche

Die Suche

Titel: Die Suche
Autoren: Katja Piel
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 Neben mir hörte ich, wie er ihn auspackte, und einige Sekunden später, wie er darauf kaute.
   „Hab Probleme mit dem Druckausgleich“, erklärte er.
   „Hmm“, machte ich. Wann war endlich Boarding?
   Ich sah ihn von der Seite an. Er war sexy wie immer, und in einem anderen Leben hätte ich ihn in die nächste Putzkammer gezerrt und wäre über ihn hergefallen. In einem Leben, in dem es Alexa gut ging und sie sich nicht in den Händen eines Wahnsinnigen befand. Marcus war alles zuzutrauen.
   „Wir werden sie finden. Alles wird gut.“
Seine Finger strichen durch meine ungewohnt kurzen Haare. Ich trocknete ein paar heimliche Tränen an seiner Schulter, als über die Lautsprecher die Aufforderung zum Boarding ertönte.
   „Ja. Sicher.“
   Ich sprang auf und hetzte nach vorne zum Schalter. Mit der einen Hand zog ich den Boarding Pass aus der Hosentasche und hielt ihn der Stewardess hin, mit der anderen wischte ich mir schnell über die Augen. Ich wunderte mich über Sams Ruhe. Entweder wollte er für mich stark sein, oder es war einfach seine Art, damit umzugehen. Ich hatte den Eindruck, als würden wir uns voneinander entfernen. Funktionierte unsere Beziehung nur, solange wir regelmäßig übereinander herfielen? Mit zusammengebissenen Zähnen eilte ich den langen Gang zum Flugzeug, ohne mich umzudrehen oder auf ihn zu warten, obwohl ich wusste, dass er mir dicht folgte. 
    Der Flug war der Horror. Es gab zwar keine Komplikationen, aber ich spürte, wie die Wölfin nach draußen drängte. Zwar war ein Flugzeug größer als ein Sarg, aber dennoch mochte sie es nicht, wenn ihr die Kontrolle aus der Hand genommen wurde. Beinahe konnte ich ihren Pelz auf der Innenseite meiner Haut spüren. Sie wollte raus. Sie wollte jagen. Und sie wollte Blut. Glücklicherweise hielt Sam nicht viel von höflicher Konversation, sondern blätterte in einer Men's Health , trank seinen Tomatensaft und futterte Erdnüsse, so als wären wir auf dem Weg in den Süden. Wut glomm in mir auf und verstärkte den Drang, mich zu wandeln. Wie gebannt glotzte ich auf den Bildschirm, der im Sitz vor mir eingebaut war und die Flugroute zeigte. Das Bild wechselte vom kleinen weißen, flackernden Flieger zur Anzeige der Flughöhe, Geschwindigkeit, der gesamten Reisedauer und voraussichtlichen Ankunftszeit. Ich versuchte es mit Meditation, spannte meine Beinmuskeln an und ließ sie wieder locker, spannte sie an, ließ wieder locker. Wir hatten bereits seit einer halben Stunde unsere Flughöhe erreicht und glitten über den Wolken dahin.
    „Anna? Ist alles okay?“
   Oh verflucht, dieser samtige Bariton. In meiner Fantasie schlossen wir uns in das enge Klo ein und zogen uns die Klamotten vom Leib. Ich schlang meine Beine um seine Hüften, er schob sich in mich und keuchte meinen Namen. Und selbst in meinen Fantasien kam mir Alexa in die Quere, wie sie gefesselt und geknebelt in irgendeinem dunklen Loch saß oder im Kofferraum zu einem neuen Geheimversteck transportiert wurde.
   Ich sah zu ihm hinüber. Besorgt kniff Sam die Augen zusammen und griff nach meiner Hand.
   „Nix ist okay. Ich hasse es, zu fliegen. Das ist alles.“ Er runzelte die Stirn, kam näher. Ich wich ihm aus.
   „Hör mal. Wenn du reden willst... Ich kann hier nicht weglaufen.“
   „Warum sollte ich reden wollen?“, zischte ich zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. Jetzt wurde mir schlecht. Die Wölfin kämpfte, sie kratzte von innen gegen meine Haut. Endlich kam die erlösende Durchsage, dass wir uns im Landeanflug befanden. Neben mir hörte ich Sam leise seufzen. Er wandte sich von mir ab, klappte das Tischchen vor sich hoch, zerknüllte den Plastikbecher und schob ihn in das Netz mit den Zeitschriften. Das Geräusch des zerknickenden Plastiks reizte mich und die Wölfin. Fast hätte ich ihn angesprungen, aber ich konnte mich gerade so zurück halten, blickte aus dem Fenster und sah zu, wie der Flieger die Wolken in Richtung Erde durchbrach. 
    Schweigend verließen wir den Flieger. Da wir kein Gepäck dabei hatten, durften wir direkt zum Ausgang.
    Sam hatte mal wieder recht gehabt. Der Flug wäre eine gute Gelegenheit gewesen, zu reden, sich in die neue Situation einzufühlen. "Hast du keine Angst um Alexa?", hätte ich ihn fragen sollen, und "Wo stehen wir beide?" Aber ich war zu sehr mit meiner Angst und meiner Wölfin beschäftigt gewesen, und nun trug er eine Maske, die ich nicht durchdringen konnte. Die Gelegenheit war
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