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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer
Autoren: blazon
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tot.«
    »Unsinn?«, schnappte der Mann. »Und wer baumelt vor dem alten Schiffsfriedhof an den Galgen?«
    Amber horchte auf. Galgen in der friedlichen Meeresstadt?
    Nun fühlte auch die Frau sich angesprochen. »Willst du damit sagen, der Rat des Fischerkönigs lässt Unschuldige hängen?«, blaffte sie in die Richtung des Seilers. »Dass die Sturmrufer damals gehängt wurden, weiß ich so gut wie du. Aber die Magier, die nun hingerichtet werden, verfolgen dieselben Ziele! Und solange wir nicht den Letzten von ihnen ausgerottet haben, wird Dantar unter den Stürmen schwächer und schwächer werden!«
    »Das weiß ich«, erwiderte der Seiler ruhig. »Ich wollte nur sagen, dass es keine Gespenster aus der Vergangenheit sind, die die Stadt bedrohen.«
    »Wenn ich an Monis’ Stelle wäre, würde ich den Schiffsfriedhof ausräuchern«, knurrte der Mann.
    Morus. Endlich ein Name, den auch Amber kannte. So hieß der Kapitän, der für die Dauer eines Jahres zum Fischerkönig gewählt worden war.
    »Wo könnten sich Magier besser verstecken als beim Gesindel?«
    »Hört auf«, sagte der Seiler leise. »Es ist Aufgabe des Rates, die Ursache für diese Stürme zu finden. Aber unsere Aufgabe ist es, zu handeln, um die Stadt vor den Fluten zu schützen. Wir sollten auf den Vorschlag des zweiten Rates hören und endlich einen Felswall im Meer errichten, um zumindest die Wucht des Wassers etwas abzuhalten.«
    »Weißt du, wie viel Arbeit und Geld das kostet und wie gefährlich es ist, Arbeiter aufs Meer zu schicken?«, wetterte der Mann. »Ganz abgesehen von der Tatsache, dass die Naj da auch noch ein Wörtchen mitzureden haben. Wenn wir ihnen Land im Meer wegnehmen, müssen wir damit rechnen, dass mindestens die Hälfte der Arbeiter ertrinkt.«
    Amber horchte auf. Die Naj! Die Wesen aus dem Wasser, die sie in ihren Träumen begleiteten, seit… ja, seit sie träumen konnte!
    »Nun übertreib nicht«, lenkte die Frau ein.
    »Ich übertreibe? Hör dir doch den Wind an! Und dann stell dir vor, was jetzt im Hafen und auf dem Meer los ist. Die Besatzungen auf den Schiffen, die Menschen… Meine Schwester ist am kleinen Hafen… im Lagerhaus…«
    Er verstummte, als seine Stimme zu zittern anfing. Jemand murmelte etwas Tröstliches. Die anderen schwiegen. Das Pfeifen des Windes war verstummt. Für einen Augenblick war Ruhe – eine unheimliche Ruhe. Amber zog die Knie näher an den Körper. Nicht einmal in dem Haus, das sie nie als ihr »Zuhause« bezeichnet hätte, war sie sich jemals so fehl am Platz vorgekommen. Sie bangte um niemanden und niemand bangte um sie. Mit klopfendem Herzen stellte sie sich vor, wie die Wellen gegen die Häuser am großen Hafen schlugen, wie Schiffe auf Wellenbergen hochgerissen und gegen die Hafenbefestigung geschleudert wurden. Und dann hörte sie ein Rauschen. Es wurde lauter und lauter und verwandelte sich in ein Gurgeln. Dann wieder Stille, wasserdichte, taube Stille, gefolgt von Glucksen und Strömen.
    »Das kann nicht sein!«, flüsterte jemand. »Das Meer ist noch nie bis hierhin gek…«
    Ehe Amber wusste, wie ihr geschah, krachte die Luke direkt vor ihre Füße, geborsten unter dem Gewicht von Wasser. Der kalte Luftzug fuhr ihr unter den Rand ihrer langen Hose, und mit einem Mal bestand die Welt nur noch aus Wellen. Sie klatschten ihr mitten ins Gesicht, pressten Salzwasser in ihre Nase, ihre Kehle, ihre Augen und schleuderten sie schließlich gegen die niedrige Wand. Stein schrammte über ihre Wange, ihr Haar verhakte sich am Mauerwerk. Brennen in der Kehle, als das salzige Wasser ihren Mund füllte. Es war unglaublich kalt, als wäre es von tief unten aus dem Meer gekommen. Panisch strampelte sie und schlug mit den Armen. Fässer und Säcke stießen schmerzhaft gegen ihre Knie. Der Lagerraum lief voll! Fässer fielen von oben auf ihre Schultern und drückten sie unter die Wasseroberfläche. Brennender Schmerz flutete durch ihre verletzte Schulter. Sie würde ertrinken wie eine Ratte in einer mit Wasser gefüllten Kiste! Jede Bewegung zog sie tiefer nach unten. Panisch kletterte sie unter Wasser auf eines der Fässer, krallte sich an der Wand fest, bis ihre Fingernägel brachen – und dann traf sie etwas Weiches wie ein unglaublich dickes, glattes Seil. Es glitschte über ihre Wange und ihren Mund. Die Luft fehlte ihr, die Panik wurde immer schlimmer. Lautlosigkeit hüllte sie ein. Ein Schlag auf ihre Nase erwischte sie – etwas Hartes, Knochiges, das sich hektisch bewegte! Vor Schreck
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