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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition)
Autoren: Bernhard Jaumann
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still. Nur ein lauer Wind raschelte durch die Blätter der Zitronenbäume. Clemencia kehrte ins Haus zurück. Die Tochter des Ermordeten sah ihr mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Als Clemencia sie nach ihrem Namen fragte, begann sie wieder leise zu wimmern. Clemencia wandte sich an die Mutter. «Wenn Sie Hilfe brauchen, ich hätte da die Nummer einer Psychologin, die …»
    «Ich bin selbst Arzt», fiel ihr der Mann am Tisch ins Wort.
    «… die auf solche Traumata spezialisiert ist», sagte Clemencia.
    «Das Mädchen braucht einfach Ruhe!», sagte der Arzt. Es klang wie: Machen Sie bloß, dass Sie hier verschwinden!
    Clemencia setzte sich Frau van Zyl gegenüber. «Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.»
    Frau van Zyl zog an ihrer Zigarette.
    «Allein», sagte Clemencia. Sie wartete, bis sich der Arzt und die Frauen in die Küche begeben hatten. Dann fragte sie: «Ist Ihr Mann bedroht worden?»
    Frau van Zyl schüttelte kurz den Kopf und stieß die Zigarette zwei-, dreimal in den Aschenbecher. Sie blickte auf die Kippe, von der ein dünner Rauchfaden hochstieg. In etwa zwanzig Zentimetern Höhe kräuselte er sich, krümmte sich, als ob er Schmerzen litte, zerfaserte dann und löste sich in langsam verblassende Schlieren auf.
    Clemencia fragte weiter, auch wenn das ein mühsames Unterfangen war. Frau van Zyl musste zu jedem Wort genötigt werden, und selbst dabei kam kaum etwas Brauchbares heraus. Ihr Mann habe ein ganz normales Leben geführt. Geboren in Pretoria, Schule, Militärdienst, Ausbildung. Weil sie nicht aus ihrer Heimat wegwollte, sei er nach Windhoek gezogen. Sie hätten eine Familie gegründet, er habe sich zum leitenden Angestellten hochgearbeitet, am Feierabend den Garten gepflegt und am Sonntag den Gottesdienst in der NG Kerk besucht.
    Seine Interessen, Vorlieben, Leidenschaften?
    Frau van Zyl zuckte die Achseln. Er habe gern gejagt. Und er habe regelmäßig die Rugbyspiele der Springbokke im Fernsehen angeschaut.
    Und sonst?
    Das sei alles.
    Politisches Engagement, Börsenspekulationen, Spielsucht, Vorstrafen?
    Nein, nein, nein und nochmals nein. Es war, als hoffe Frau van Zyl, ihren Mann dadurch wieder zum Leben zu erwecken, dass sie jedes denkbare Mordmotiv kategorisch ausschloss.
    «Aber jemand glaubte einen Grund zu haben, ihn zu erschießen», sagte Clemencia leise.
    Frau van Zyl zündete sich eine neue Zigarette an. Benson & Hedges. Sie legte die Schachtel auf den Tisch und sah dann Clemencia zum ersten Mal in die Augen. Es war nur ein kurzer Blick, doch Clemencia las genug daraus: Mevrou van Zyl log, zumindest verschwieg sie etwas Entscheidendes. Und sie würde es auch weiterhin verschweigen, denn sie hatte Clemencia gewogen und für zu leicht befunden. Für zu jung, zu unerfahren, einer wenig vertrauenswürdigen Polizei und der falschen Rasse zugehörig. Das war ziemlich viel auf einmal. Clemencia wusste, dass sie dagegen nicht ankommen würde.
    So sanft, wie es ihr möglich war, sagte sie: «Ich verspreche Ihnen, Frau van Zyl, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um den Täter …»
    «Knallen Sie ihn ab!», sagte Frau van Zyl leise.
    «Wir werden …»
    «Es ist mir egal, wer er ist und warum er es getan hat.» Frau van Zyl sprang auf und schrie nun mit sich überschlagender Stimme: «Finden Sie ihn und knallen Sie ihn ab! Sofort! Was wollen Sie noch hier? Los, nun gehen Sie schon! Knallen Sie das Schwein ab!»
    Die Tochter auf dem Sofa wimmerte lauter und brach in hysterische Schreie aus, die ihr die Atemluft zu nehmen schienen und in einem Gurgeln endeten. Der Arzt, der Clemencia abgekanzelt hatte, riss die Küchentür auf und eilte zum Sofa. Hinter ihm erschienen die Frauen und versuchten, Frau van Zyl zu beruhigen.
    Auch wenn Clemencia wusste, dass das ungerecht war, kam ihr alles falsch vor. Tag für Tag beklagten sich die Weißen, dass rechtsstaatliche Verfahren angeblich ungenügend eingehalten würden, doch kaum waren sie selbst einmal Opfer eines Verbrechens, war alles vergessen. Dann wollten sie Rache, wollten das Blut spritzen sehen. Dabei war die Gefahr, umgebracht zu werden, für einen Schwarzen immer noch zehnmal größer. Nur krähte kein Hahn danach, wenn in Katutura eine Sechzehnjährige auf dem Weg zur Außentoilette vergewaltigt und ermordet wurde. Oder wenn eine alte Frau abgestochen wurde, weil sie die dreißig Namibia-Dollar, mit denen sie über die nächste Woche kommen wollte, nicht sofort herausrückte. Der Mord an
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