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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden
Autoren: Felicitas Mayall
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fragen, wo er den Fiat geparkt hätte, vielleicht aber auch nicht. Immerhin lag in der Einfahrt zum Resort ein Baum. Da hatten er und Fabrizio und die andern genug zu tun.
    Noch immer regnete es in Strömen, aber der Sturm hatte nachgelassen. Während Orecchio sich erneut zu dem begrabenen Kombi durchkämpfte, dachte er ununterbrochen darüber nach, wie er die Pakete loswerden könnte. Vielleicht würde er Anweisungen bekommen. Manchmal lag ein Umschlag in seinem Fach im Wärterhaus. Mit ganz verrückten Texten, als würde er sich heimlich spät nachts mit einer verheirateten Frau treffen. Und immer die Anweisung: Bitte verbrenn diesen Zettel, damit mein Mann nichts erfährt!
    Ganz selten bekam er einen Anruf. Auch da redete eine Frau komische Dinge. Aber er verstand schon, dass er die Schranke aufmachen sollte. Und jetzt? Er wollte gar nicht wissen, was in den Paketen steckte, wollte auch nicht wissen, warum der Fahrer nicht geantwortet hatte. Die ganze Geschichte wuchs ihm über den Kopf.
    Deshalb hielt er inne und kehrte ins Wärterhaus zurück. Er ließ sich auf einen der drei Stühle fallen und trank seinen Kaffee, der inzwischen kalt geworden war, aber das bemerkte er nicht, auch nicht, dass von seinen nassen Haaren kalte Rinnsale in seinen offenen Kragen flossen. Er blieb einfach sitzen, spürte jede vergehende Minute geradezu körperlich, wie träge Tropfen, die nicht fallen wollen. Es kostete ihn große Anstrengung, sich aus dieser Erstarrung zu lösen, als er endlich die Sirenen der Feuerwehr hörte.

 
    ETWAS IST ANDERS, dachte Laura Gottberg, als sie erwachte. Graues Licht fiel in Streifen durch die Lamellen der Fensterläden, erstes Morgenlicht. Laura betrachtete das feine Muster auf ihrer Bettdecke, schloss dann wieder die Augen und lauschte, um herauszufinden, was sich verändert hatte. Noch war sie nicht vertraut mit den Geräuschen der Natur und des Hauses. Nicht einmal Angelo Guerrinis ruhiger Atem war ihr wirklich vertraut. Wenn sie ehrlich war. Aber es war gut, ihn zu hören. Und erstaunlich. Sein Atem war ganz wirklich und nah. Er schnarchte nicht, obwohl sie letzte Nacht ein bisschen zu viel getrunken hatten. Hatte sie geschnarcht? Vermutlich, denn ihr Mund fühlte sich trocken an.
    Der Sturm fiel ihr wieder ein. Das Heulen hatte sie lange nicht einschlafen lassen. Gestern war der Sturm so heftig gewesen, dass sie das Haus den ganzen Tag nicht verlassen konnten, deshalb hatten sie auch zu viel getrunken und gegessen. Köstliche Seezungen, winzige gebratene Tintenfische vom Markt in Portotrusco, frische Gnocchi in Butter und Salbei, und zuletzt hatte der Commissario eine Zabaione aufgetischt, die zwar nicht perfekt, aber doch unwiderstehlich gewesen war.
    Sie hatten sich geliebt. Anders als sonst. Heftiger, unvorbereitet. Inmitten eines Artikels aus der L’Unità , den Laura ihm vorlesen wollte. Angelo hatte ihr die Zeitung aus den Händen gerissen und hoch in die Luft geworfen. Wie taumelnde Riesenfalter waren die Seiten zu Boden gesunken. Seine Art, sie zu lieben, hatte etwas Besitzergreifendes gehabt, etwas von einer drängenden Frage, die nach einer Antwort verlangt.
    Nie zuvor hatte sie diese Intensität von körperlicher Nähe erlebt. Vielleicht auch nicht zulassen können.
    Sacht legte Laura eine Hand auf seine Brust und spürte die leise Bewegung seines Atems, erinnerte sich an seinen forschenden Blick nach der Umarmung, als fragte er immer weiter.
    Zum ersten Mal würde sie zwei volle Wochen mit Angelo Guerrini verbringen. Ohne Arbeit. Zwei Wochen am Meer. Dies war der Beginn des dritten Tages. Oder des zweiten? Vielleicht musste sie den Tag der Ankunft nicht mitzählen. Zweiter Tag klang besser als dritter Tag.
    Kindisch, dachte sie. So hatte sie früher zu Beginn der Schulferien um jeden Tag gefeilscht.
    Plötzlich wusste sie, was sich verändert hatte: Der Sturm raste nicht mehr ums Haus. Nur das Meer war noch unruhig, schlug mit scharfem Knall gegen den Strand, wieder und wieder. Sie sah die Welle genau vor sich, die diese Art von Knall hervorrief. Eine hohe Welle, die ungebremst auf einen steilen Strand aufschlug und keine Gelegenheit zum Auslaufen hatte.
    Laura setzte sich auf. Ihr Kopf schmerzte ein bisschen, ein Nachklang des Weins, und sie war durstig. Sie warf einen Blick auf Angelo, der noch im Tiefschlaf gefangen war, und stand dann leise auf, um etwas zu trinken. Als sie die Schlafzimmertür öffnete, seufzte er leise und drehte sich auf die andere Seite.
    Zwei Wochen,
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