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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen
Autoren: Harry Thürk
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ihn kaum. Nur ab und zu gab es ein leises, schnarrendes Geräusch, ein Klirren von Metall auf Stein. Er verständigte sich mit den drei anderen durch kurze Zurufe, und sie gaben so viel von dem Seil frei, daß er um den Pfeiler herumklettern konnte. Timm ging mit dem letzten Soldaten zu dem Bahnwärterhäuschen. Als sie nach einer Weile zurückkamen, schleppten sie eine Zeltplane voll Handgranaten und Munition heran, die sie in dem Häuschen zusammengelesen hatten. Sie hatten die Zeltplane gerade im Schatten der Büsche niedergelegt, als in der Ferne das rollende Geräusch eines Zuges hörbar wurde.
    Die drei auf der Brücke knüpften das Seil fest um die Schwelle und verschwanden hinter den Büschen. Der Oberkellner blieb an seinem Seil hängen. Er war wütend, weil seine Arbeit unterbrochen wurde. Er hämmerte weiter an dem Gestein herum, und es war gar nicht gefährlich, daß er es tat, denn von der Brücke aus konnte ihn niemand sehen, und der Zug würde so viel Geräusch machen, daß die Schläge seines Hammers darin untergingen. Zado und Bindig blieben an den Enden der Brücke stehen, die Gesichter abgewandt, die Mantelkragen hochgeschlagen. Sie standen so, daß sie vom Zug aus jeder sehen, aber niemand ihre Gesichter erkennen konnte. Es war ein Transport Fahrzeuge. Die endlose Schlange der Wagen glitt hinter der ohne Licht fahrenden Lokomotive heran, klirrend und klappernd. Auf den Plateauwagen standen festgezurrt die Autos. Schwere, dick bereifte Fahrzeuge, solche mit Planendach und andere, von deren Rücken sich die Laufe der Salvengeschütze drohend unter den Planen abzeichneten. Ein paar Spähwagen und Bulldogs.
    Bindig stand an der Stelle, wo zuvor der tote Posten gelegen hatte. Er behielt die Hände in den Manteltaschen und fühlte zwischen den Fingern den zerkrümelten Machorka und das zusammengefaltete Zeitungspapier. Sie rauchen dieses schreckliche Zeug, dachte er, sie wickeln es in Zeitung und ziehen den Qualm in die Lunge. Sie müssen Lungen wie die Adler haben. Er zog den Kopf tief in den hochgestellten Kragen und wandte das Gesicht ein wenig zur Seite, als die Lokomotive heran war. Der Heizer hing mit dem Oberkörper zum Fenster heraus und winkte im Vorbeifahren. Er hatte nur ein Hemd ohne Ärmel an, und man sah seine weiße Haut. Bindig machte eine unbestimmte Bewegung mit dem Kopf, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, und dann schlug er die Schuhe zusammen wie einer, dem es auf Posten kalt geworden ist. Er war jetzt ganz ruhig. Er sah dem Zug nach, wie er über die Brücke rollte. Eine Weile noch stand die weiße Qualmwolke über dem Wald, in dem der Zug hinter der Brücke untertauchte, dann zerflatterte sie, und das Rollen der Räder verlor sich in der Nacht. Timm trat aus den Büschen. Die drei anderen eilten wieder auf die Brücke. Timm blieb neben Bindig stehen und sagte: „Das war der letzte. Bis zum nächsten müssen wir es schaffen.
    „Und dann?"
    „Weg", sagte Timm. Er verzog das Gesicht, als störe ihn der Ruß. Timm war ein Mensch, der selten lachte. Lustig hatte ihn von den Männern noch keiner gesehen.
    „Da drüben in den Wald", sagte er. „Es sind zwölf Kilometer. Dazwischen liegen ein paar von diesen Seen. Ein bißchen Sumpf. Da ist weiter nichts los. Es ist eine ganz verlassene Gegend. Kein Haus. Nichts. Die Wiese liegt zwischen zwei Seen mit einem bißchen Wald an den Ufern. Wir werden gegen Morgen dort sein und den Tag über schlafen."
    Er blieb neben Bindig stehen, ohne ein Wort mehr zu sagen. So, als habe er zuviel gesprochen. Er sah den drei Männern auf der Brücke zu, und die Muskeln in seinem geschwärzten Gesicht bewegten sich leicht dabei.
    „Gibt es Karten?" erkundigte sich Bindig. Er hatte von der Übung in Erinnerung, daß Karten ausgegeben werden sollten, damit zur Not jeder für sich allein den Weg zu dem Platz finden konnte, an dem die Maschine sie abholte.
    Timm zögerte einen Augenblick. Dann sagte er: ja. Es gibt Karten. Den anderen habe ich sie schon gegeben. Für dich und Zado habe ich sie noch."
    Er griff in die Tasche und brachte zwei Ausschnitte von einer Generalstabskarte zum Vorschein. Sie waren nicht größer als ein Blatt der Frontzeitung, und sie waren zusammengefaltet. Er drückte sie Bindig in die Hand und sagte: „Gib die eine Zado, wenn du deine Runde wieder aufnimmst." Während er noch einmal in die Tasche griff und sich eine Zigarette anbrannte, sagte er: „Bei Feindberührung sofort zu vernichten. Vergiß das nicht."
    Bindig
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