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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen
Autoren: Harry Thürk
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geschmeidigen Riemen um das Handgelenk festband, sagte er zu dem Unteroffizier: „Vier Mann? Dann schlafen sie immer nur vier Stunden zwischen den Wachen. Ein verflucht strammer Dienst!"
    „Sei froh, daß es nicht mehr sind", sagte der Unteroffizier. „Sie haben eine Karbidlampe brennen, aber sie schlafen." Er blickte Bindig an, der, dem Beispiel Zados folgend, seine Pistole am Handgelenk befestigte.
    „Was war da vorn los?" fragte er. „Es sah so aus, als ob du hinfallen wolltest. Dabei kann das Gewehr losgehen..."
    „Er ist gestolpert", antwortete Zado, „diese Schwellen sind bei der Dunkelheit kaum zu sehen. Aber ich habe ihn aufgefangen."
    Timm nahm ihnen die Gewehre ab und ihre Stahlhelme. Er musterte sie kritisch, und dann sagte er: „Los, gehen wir. Wir müssen das schnell erledigen. Wenn ein Zug kommt, müssen Posten auf der Brücke sein."
    Während sie sich gebückt durch das Buschwerk auf das Bahnwärterhäuschen zu bewegten, merkte Bindig, daß sie nur sechs waren, und er erinnerte sich daran, daß die anderen zwei inzwischen an dem Häuschen standen. Es kann nichts passieren, dachte er. Es ist alles genau ausgeklügelt. Wenn das in dem Häuschen vorbei ist, haben Zado und ich Ruhe bis morgen nacht. Alles Weitere machen die anderen.
    Timm ging zwischen ihnen. Er zog sie dicht zu sich heran und erklärte ihnen im Gehen: „Das Häuschen hat an jeder Seite ein Fenster. Man könnte es einfach von draußen machen, durch die Fenster. Aber das ist zu laut. Zwei werden an den Fenstern stehen bleiben. Wenn ihr Pech habt, werden sie schießen. Aber ihr dürft kein Pech haben. Man weiß nicht, ob nicht doch irgendwo einer was hört. Übereilt euch nicht. Macht erst die Tür zu, wenn ihr drin seid. Sie sind verschlafen. Sie werden euch in den Mänteln und in den Mützen nicht gleich erkennen. Das sind die entscheidenden Sekunden für euch."
    Die anderen umstanden das Häuschen, als Zado und Bindig die Tür aufstießen und eintraten. Sie lauschten, die Pistolen in den erhobenen Händen. Timm hatte den einen Soldaten vom Fenster weg geschoben und sich selbst dort aufgestellt. Er sah die beiden eintreten in ihren braunen Mänteln, mit den Pelzmützen über den geschwärzten Gesichtern. Er beobachtete ihre Bewegungen und die Bewegungen der Schläfer. Er hatte die Pistole in der Hand, aber er brauchte sie nicht. Die Schüsse in dem Häuschen knallten kurz und trocken. Sie waren ein paar Meter weiter nicht mehr zu hören. Als Timm sich von dem Fenster abwandte, dachte er: Sie sind die besten Pistolenschützen aus dem ganzen Haufen. Tadellose Soldaten hat Deutschland hervorgebracht. Sie beißen sich nicht einmal auf die Lippen, wenn sie töten. Jung und kalt. Sie töten wie die Schlächter.
    Der Oberkellner aus Stuttgart stieg zunächst in das Flußbett hinab. Er untersuchte die Brückenpfeiler, beklopfte sie prüfend und stieg dann wieselflink wieder die Böschung hinauf. Oben lagen die anderen. Zado und Bindig patrouillierten so, wie es die beiden Posten zuvor getan hatten, über die Brücke. Sie hatten die Kragen der Mäntel hochgeschlagen, und über ihren Pelzmützen schimmerten die dünnen, scharfkantigen Bajonette. An der Brücke lagen alle anderen außer einem, den sie bei dem Bahnwärterhäuschen zurückgelassen hatten.
    Der Oberkellner ging auf Timm zu und sagte: „Ziemlich massiv. Wir müssen zwei Pfeiler absprengen."
    „Reicht das?" fragte Timm.
    Der kleine Soldat zog die Schultern hoch. Er hatte den Stahlhelm abgelegt, und auch die anderen umstanden ihn mit bloßen Köpfen.
    „Wenn wir sie möglichst hoch absprengen und dabei noch was unter die Schienen packen, gibt es ein ziemlich großes Loch", sagte der Oberkellner, „aber lange wird es nicht vorhalten. Sie werden es in einer Woche repariert haben."
    „Eine Woche ist sehr viel Zeit."
    ja", sagte der Soldat, „wenn wir mehr Sprengstoff hätten, würden wir ihnen das Ding so zusammensprengen, daß sie das Kreuz darüber schlagen könnten."
    Er wickelte das Seil auf und schnallte sich den breiten ledernen Gurt um den Leib. Dann befestigte er den flachen Karabinerhaken des Seils an dem Ledergurt und stieg auf die Brücke hinaus. An dem Gurt hingen ein paar Werkzeuge, die er brauchte. Zu dritt gingen sie mit dem Seil in den Fäusten hinter ihm her und ließen ihn über den Rand der Brücke hinab, das Seil festhaltend und sein Ende an einer der Stahlschwellen des Bahngleises befestigend. Der kleine Oberkellner war geschickt wie eine Katze. Man hörte
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