Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Straße - Roman

Die Straße - Roman

Titel: Die Straße - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
ausziehen müßte. Auf diese Weise bekam ich meinen Schwanz, auch wenn ich noch nichts von ihm ahnte.
    Seltsam ist: Wenn ich an die diversen Spiele denke, die die Freundinnen meiner Schwester in unserem Haus veranstalteten, dann muß ich bei ihnen schon vor meiner Schulzeit all das gesehen haben, worüber mich der Junge namens Göttlich erst später aufklärte. Einen Begriff von Andersheit hatte ich damals bei diesen frühen Spielen aber nicht entwickelt. Das lag vermutlich daran, daß immer nur ausschließlich Mädchen zu sehen gewesen waren. Es waren immer nur Mädchen, die sich überall gegenseitig Dinge hineinsteckten und wieder herauszogen, und die sich ihre Ärsche entgegenstreckten, auf daß ein Finger dort hineinkomme oder eine Nase oder sonst etwas. Mehr hatte ich nie gesehen,und mehr kannte ich nicht, also sah ich nirgends einen Unterschied und achtete auch auf nichts. So muß es ganz früher gewesen sein. Später spielten sie diese Spiele immer noch, da verstand ich dann alles, und da teilte ich dann in »Mädchen« und »Junge«. Ich will damit sagen: Es gelang mir aus den früheren Erfahrungen nicht, das abzuleiten, worüber mich der Junge namens Göttlich dann in Worten, also abstrakt, unterrichtete. Detailliertere Erinnerungen setzen folglich bei mir erst später ein, etwa an eine Situation im großen oberen Zimmer, als ein Spiel vor dem dortigen Kleiderschrank mit der abgelegten Garderobe meiner Mutter stattfand, da müssen sie schon neun Jahre alt gewesen sein, wenn ich das Wort des Jungen namens Göttlich als terminus post quem zugrunde lege. Sie zogen sich Kleider aus dem Kleiderschrank der Mutter an, machten eine Art Modenschau, dann zogen sie sie plötzlich herunter und zeigten sich, und mit besonderer Freude zeigten sie sich mir, und ich sah alle die Ärsche (sie zeigten nach wie vor hauptsächlich diese) aller dieser Freundinnen, die noch heute leben, und sie wollten unbedingt, daß man nun etwas mit diesem Arsch mache, sie spielten auch filmen und fotografieren. Ganz wichtig war, daß man zeigte, und ganz wichtig war, daß es eigentlich verboten war zu zeigen. Deshalb spielten sie, es sei verboten zu zeigen, und zeigten dann erst recht. Alles das gabes für mich erst, nachdem das Wort über Bettina gefallen war. Vorher hatte ich es einfach nie verstanden. Es war gar nicht mehr weit von ihrer Bravozeit entfernt.
    Für diese Momente waren die Mädchen immer wie ausgetauscht, wie in einem völlig anderen Zustand als sonst, der damit, wie sie zu den übrigen Zeiten waren, nichts zu tun hatte. Sie waren verwandelt, und auch ihre Augen sahen anders aus als sonst. Diese Augen erglänzten dann immer in einem aufgeregten, geradezu fiebrigen Lächeln, spiegelten aber auch das große Interesse an der Sache und die Ernsthaftigkeit in ihrem schnellen Tun wider. Dieses Tun war so schnell, als könnten sie es kaum erwarten. Alles hatte eine völlig eigene, unbezwingbare Logik, und in ihren aufgeregten Momenten, während diese Logik galt, war alles völlig selbstverständlich, als könnte es gar nicht anders sein und als könnte es auf der Welt gar nicht anders zugehen, als daß jetzt dieser Finger vorne oder hinten in das betreffende Mädchen hineinkommt, so schnell es geht und so tief es geht, denn je tiefer es ging, um so spannender und interessanter und aufregender und erwünschter und herbeigesehnter war es für das betreffende Mädchen, das in seiner fiebrigen Ernsthaftigkeit dann noch um so Tieferes wünschte, denn das eine mußte ja vom nächsten immer übertroffen werden, es gab keinen Grund und Boden außer derphysischen Tiefe und Weite ihrer Löcher und den Ausmaßen der verschiedenen Gegenstände, denen ihr Interesse galt und die eingeführt wurden. In diesen Momenten bestanden die Mädchen ganz offenbar nur aus dem Wunsch der Einführung und ihren Löchern, sie hatten an jedem anderen Rest der Welt das Interesse verloren, etwas mußte nun unbedingt und zwingend geschehen, sie waren ganz ihr Hintern und ganz ihr Geschlecht, das sie mit keinem Wort benannten, nur mit deiktischen Ausdrücken und mit Pronomina, vorn wie hinten. Es kam ja in ihrer Sprache nicht vor, nur als Wunsch, verbunden mit einer Handlungsanweisung an den anderen, schau da, tu da das hinein, stecke es dort hinein. Stecke es tiefer. Es geht noch tiefer. Es dauerte nicht lang, wenige Minuten, es war wie eine Welle über sie gegangen, und dann ebbte die Welle in einem zunehmenden Gekicher ab, sie steckten immer noch, lachten und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher