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Die Stimme der Erde

Titel: Die Stimme der Erde
Autoren: Catherine Coulter
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öffnete sie so weit, daß sie sich hindurchzwängen konnte. Vor Ekel schaudernd watete sie in den stinkenden Burggraben. Ihre Füße versanken im dicken Schlamm. Dann schwamm sie zur anderen Seite, kroch die glitschige Uferböschung hinauf und rannte zum Dunroyal-Wald hinüber. Der Gestank des Burggrabens blieb an ihr haften.
    Nun, sie wollte ja nicht nach London, um dem König ihre Aufwartung zu machen. Sie dachte nur an Flucht. Sie schaute die schmale, mit Schlaglöchern übersäte Straße entlang. Hier würden die Wagen vorbeifahren. Sie mußten hier vorbei.
    Und nach etwa 20 Minuten war es dann so weit. Sie zog die Mütze tief in die Stirn und versteckte sich. Langsam kamen die Wagen heran. Die drei Krieger, die die Wagen zum Markt begleiteten, rissen Witze über eine Frau aus dem Dorf, die einen Mann im Bett mehr kaputt machten konnte, als es ein harter Arbeitstag auf den Äckern vermochte.
    Aus ihrem Versteck warf Philippa Steine über die Straße. Sie flogen in das dichte Unterholz und verursachten laute Geräusche. Sofort reagierten die Krieger. Sie rissen die Pferde herum. Auch die Bauern, die die Wagen lenkten, wurden aufmerksam. So schnell sie konnte, eilte Philippa zum zweiten Wagen und verbarg sich unter den Stapeln schmutziger Rohwolle. Das Zeug war so starr und kratzig an der Haut, daß es kaum auszuhalten war. Mit Erleichterung hörte sie einen der Männer schreien: »Es war nichts!«
    »Vielleicht ein Kaninchen oder eine Schnepfe.«
    »Und ich hoffte, es wäre eine liebesdurstige Dirne, die auf meinem Pferd und auf mir reiten will.«
    »Ha! Dich nimmt doch höchstens die gemeinste Hure!«
    Plötzlich hörten die Männer, wie einer der Bauern hinter vorgehaltener Hand kicherte. Ein Krieger schrie: »Fahr weiter, du fauler Lausekerl, oder ich gebe dir die stumpfe Seite meines Schwertes zu schmecken!«

2
    Burg St. Erth in der Nähe der Bucht von St. lves Cornwall, England
    Alle 44 Schafe waren verendet. Sie hatten ihm gehört, und nur weil der Schäfer Robin nach dem Genuß von Hagedombeeren so fürchterlichen Durchfall bekommen hatte, daß er bewußtlos hingefallen war und die Schafe allein weitergewandert waren. Dabei gerieten sie in einen wilden Sturm und stürzten eins nach dem anderen blökend über eine steile Klippe in die Irische See.
    44 Schafe! Bei Gott, es war ungerecht. Was sollte er jetzt tun? Er hatte kein Geld mehr. Jedenfalls reichte es nicht aus, um zum Markt nach St. Ives zu reiten und neue Schafe zu kaufen, die noch nicht die Frühjahrsschur hinter sich hatten. Er brauchte neue Kleidung, sein Sohn brauchte neue Kleidung, seine Männer brauchten neue Kleidung, ganz zu schweigen von den Bediensteten, die für ihn schufteten. Sein Weber Prink saß auf seinem fetten Hintern und rührte keinen Handschlag, außer wenn's zum Essen ging, wo er für drei fraß. Und die alte Agnes tat nichts, als ihn durch ihre Klagen und ihr Schimpfen in den Wahnsinn zu treiben.
    Dienwald de Fortenberry schlug sich fluchend mit der Faust auf den Oberschenkel. Dabei merkte er, daß sein wollener Waffenrock vom Ärmelloch bis zum Ellbogen aufgerissen war. Der harte Winter hatte ihn erledigt. Wenigstens bauten seine Leute noch genügend Weizen und Gerste an, um die Besatzung von St. Erth und alle Pachtbauern, die für ihn arbeiteten, am Leben zu erhalten. Vielen Lords war es gleichgültig, wenn ihre Untergebenen am Straßenrand verhungerten. Doch Dienwald hielt diesen Standpunkt für ausgesprochen dumm. Denn Tote konnten die Äcker nicht bebauen, keine Pferde beschlagen und St. Erth nicht verteidigen.
    Andererseits brauchten Tote auch keine Kleidung.
    Dienwald war tief in Gedanken versunken, als sein Narr Crooky ins Blickfeld schlurfte und sogleich mit wilden Verrenkungen auf sich aufmerksam zu machen suchte. Crooky war als Kind unter einen umstürzenden Baum geraten und hatte seitdem einen verkrümmten Rücken. Dienwald war nicht in der Stimmung für seine Scherze und scheuchte ihn weg. Daraufhin begann Crooky auf einem Bein umherzuhopsen. Er machte irgend jemanden nach. Dienwald rief: »Heb dich weg, vorwitziger Narr! Du gehst mir auf den Geist.«
    Crooky vollführte den grotesken Knicks einer Dame, fädelte ein Stück Garn in die Nähnadel, setzte sich auf den Boden und tat, als nähte er. Dazu sang er:
    »Mein lieber Lord von St. Erth,
    Ihr braucht Euch nicht mit nacktem Arsch Das schlaue Köpfchen zu zerschlauchen,
    Denn es sind drei Wagen unterwegs,
    Ganz vollgepackt mit allem, was wir brauchen.«
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