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Die Sternseherin

Titel: Die Sternseherin
Autoren: Jeanine Krock
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warum meine Schwester von Anfang an dermaßen feindselig auf unsere Verbindung reagiert hat. Soweit ich weiß, hatten die Zwillinge bis vor ein paar Monaten keine Ahnung, dass es überhaupt Vampire gibt. Wir wussten sowieso viel zu wenig über unsere Natur.« Ihre Gedanken kehrten in die Vergangenheit zurück. Die Eltern der Mädchen waren ein ungewöhnliches Paar gewesen, denn ihre Mutter stammte aus dem Feenreich. Sie war ein Lichtelf, eine Fee, die sich auf der Suche nach dem Glück in einen Sterblichen verliebt hatte, mit dem sie ihre drei Töchter gemeinsam aufzog, anstatt, wie es unter ihresgleichen nicht unüblich war, mit den Kindern ins Feenreich zurückzukehren. Ein Schatten huschte über Nuriyas Gesicht und Kieran streckte seinen Arm aus. Bereitwillig folgte sie der Einladung, kehrte ins Bett zurück und kuschelte sich an seine Schulter. Er war ihre Heimat, ihre Zuflucht. Kieran streichelte ihre Hände und die Trauer um den lange zurückliegenden Verlust verebbte allmählich. Auch nach Monaten des Zusammenlebens wurde sie nicht müde, das Spiel der harten Muskeln unter der weichen Haut zu bewundern. Liebevoll strich der Vampir seiner »kleinen Fee«, wie er sie in Gedanken immer noch nannte, über die Wange und flüsterte: »Mach dir keine Sorgen, ich finde eine Lösung.«
    Und kaum war Nuriya am nächsten Abend zu einer Verabredung aufgebrochen, begann er, seine Pläne in die Tat umzusetzen.
    »Estelle öffne die Tür, ich muss mit dir reden!«
    »Nein!«
    »Du weißt doch, dass ich keine Einladung brauche, also mach auf oder ich komme auch ohne dein Einverständnis herein.«
    Estelle begann zu zittern. Würde der Vampir die Abwesenheit ihrer Schwester nutzen, um sich endgültig seines Gastes zu entledigen? Denn darüber machte sie sich keine Illusionen: Kieran duldete sie nur äußerst widerwillig in seinem Haus. Er gab sich nicht einmal mehr Mühe, seine Kräfte einzusetzen, um ihren Willen zu manipulieren, und dennoch ging sie folgsam zur Tür und öffnete, denn es gab kein Entrinnen. »Was willst du?« Als Nächstes fand sie sich in einem Sessel ihres großzügigen Gästezimmers wieder. Ihr gegenüber hatte der Vampir Platz genommen, die Beine übergeschlagen, weit zurückgelehnt. Ein Bild totaler Entspannung. Estelle verschränkte ihre Hände fest ineinander, damit sie nicht an den Nägeln knabberte. Eine Angewohnheit, die sie in den letzten Monaten einfach nicht mehr lassen konnte.
    »Du möchtest mir nichts über deine Anfälle und Visionen erzählen?«, fragte er.
    »Nein!«
    »In Ordnung.« Er lenkte erstaunlich schnell ein. »Und über deine Schwestern?«
    Estelle schwieg.
    »Was ist mit dir los? Nuriya macht sich große Sorgen um dich, und ich mag es nicht, wenn sie traurig ist.«
    Die Drohung hätte deutlicher nicht sein können. Sie versuchte, noch tiefer in ihrem Sessel zu verschwinden.
    Plötzlich schnellte der Arm des Vampirs vor. Er griff Estelles Handgelenk, bevor ihre Zähne die blutigen Fingerkuppen weiter malträtieren konnten. »Mädchen, du warst«, er blickte in ihre Augen, »nein, du bist eine Schönheit. Deine Familie, die Feenwelt, sie haben dir alle Freiheiten gelassen. Du hättest als Model Karriere machen oder ein brillantes Studium absolvieren können. Weißt du eigentlich wie privilegiert du bist?« Estelle schaute ihn emotionslos an und er war sich nicht sicher, ob seine Worte sie überhaupt erreichten. »Sieh doch bloß mal in den Spiegel! So hungrig kann ein Vampir«, er betonte diesen Begriff absichtlich, »gar nicht sein, um dich in diesem Zustand beißen zu wollen.«
    Estelle schloss ihre Augen.
    »Zur Hölle, was ist dein Problem?«
    Estelle schwieg. Vielleicht weil sie hoffte, er würde irgendwann aufgeben und sie in Ruhe lassen, aber wer wie Kieran mehr als zehn Jahrhunderte durchlebt hatte, den machten ein paar Minuten Warten nicht nervös.
    Schließlich antwortete sie kaum hörbar: »Ich kann es nicht sagen, sieh selbst!«, und sie öffnete ihre Seele für ihn.
    Er zögerte nicht, ihrer Einladung zu folgen. Was er sah, war verwirrend genug. Seine Schwägerin litt unter Visionen, deren wahrsagerische Qualität eine Feentochter unter normalen Umständen problemlos handhaben konnte. Aber als er sich tiefer auf ihre Gefühle einließ, spürte er gemeinsam mit Estelle die Bedrohlichkeit und das Grauen in ihrer Trance, und Kieran erkannte, dass es eines erfahrenen Therapeuten bedurfte, um ihr den distanzierten Umgang mit den beunruhigenden Bildern in ihrem Kopf zu
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