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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition)
Autoren: Oliver Kern
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lassen.
    „Seit ein paar Wochen“, erklärte sie.
    Das Gespräch kam nicht so recht in Gang und sah seine Felle davonschwimmen. „Du siehst gar nicht aus wie eine Chinesin, zumindest nicht ...“ Was labere ich für einen Schwachsinn, ich rede mich um Kopf und Kragen!
    „Wie sehen Chinesinnen deiner Meinung nach aus?“
    „Tut mir leid. Ich wollte damit sagen, dass ich noch nie eine so bezaubernde Chinesin gesehen habe.“ Sie nahm wieder ihre Hand vor den Mund. Wieder diese Geste der Verlegenheit, die ihr Lächeln verbarg.
    „Ich bin tatsächlich keine Chinesin. Ich komme aus Laos.“
    „Laos?“, wiederholte er, ging aber nicht weiter darauf ein. Er wusste nichts über Laos und wollte sich nicht noch mehr blamieren. „Woher sprichst du so gut Deutsch?“
    „Ich bin schon länger in Deutschland. Das ist nicht mein
    erstes Restaurant.“
    „Bisher war ich der Meinung, dass sich der deutsche Wortschatz chinesischer Kellner auf die Nummern in ihren Speisekarten beschränken würde. Gebrochen und schwer verständlich ausgesprochen, versteht sich. Es freut mich, dass du mich eines Besseren belehrst. Übrigens, ich bin Frank.“
    „Lea“, stellte sie sich vor. „Aber jetzt muss ich los. Vielleicht kommst du mal bei uns vorbei? Ich würde mich freuen“, sagte sie und ließ ihn stehen. Frank sah ihr sehnsüchtig hinterher und beschloss, möglichst bald chinesisch essen zu gehen.
     
     
    Ein Anwalt im Wintergarten
    27. Juni 2003
    Der Wecker läutete um acht. Zu früh für ihn. Jetzt ärgerte er sich, dass er nicht darauf bestanden hatte, den 10-Uhr-Termin zumindest zwei Stunden nach hinten zu verschieben. Tatsächlich hatte ihn der gestrige Besuch dermaßen überrumpelt, dass er nicht daran gedacht hatte. Er wälzte sich aus dem Bett und wankte ins Bad. Das Gesicht im Spiegel glotzte ihm verschlafen entgegen.
    Ich werde alt , dachte er. Die Arbeit zu nachtschlafender Zeit zehrte an ihm. Sein dunkelbraunes Haar war mittlerweile sichtbar von grauen Strähnen durchzogen. Unter seinen braunen Augen zeichneten sich erste Ansätze von Tränensäcken ab und er fühlte sich häufiger schlapp, obwohl er regelmäßig Sport trieb: Radfahren, Joggen, Fitness. 85 Kilo bei 1,85 Körpergröße. Das war doch nicht schlecht? Trotzdem hatte er mehr und mehr die Befürchtung, dass sein Muskelgewebe schwabbelig wurde. Midlife-Crisis mit 35? Dabei war er nicht verheiratet, hatte keine Familie und keine Kinder – zumindest wusste er von keinen.
    Unzufrieden mit seinem Aussehen, rasierte er sich und tauchte anschließend sein Gesicht in eiskaltes Wasser. Die Schwellungen unter den Augen waren verschwunden und er fühlte sich salonfähig. Er entschied sich für ein kurzärmeliges Hemd und eine leichte Leinenhose.
    Um halb zehn stand er am Waiblinger Bahnhof – Gleis 1, über Stuttgart-Hauptbahnhof in Richtung Flughafen. Die Sonne strahlte bereits gnadenlos vom Himmel. Laut Wetterbericht wurden erneut über 30 Grad erwartet. Frank setzte seine Sonnenbrille auf. In der rechten hinteren Gesäßtasche steckte die Visitenkarte. Er glaubte sie zu spüren. Kwan Kham.
    Der Zug war pünktlich und spuckte ihn siebzehn Minuten später am Stuttgarter Hauptbahnhof wieder aus. Er verließ das Bahnhofsgebäude in Richtung Schlossgarten. Die Menschenmassen lichteten sich, als er den Park erreichte. Hier waren am frühen Vormittag nur vereinzelt joggende Studenten, Rentner mit Hunden und Mütter mit Kinderwagen unterwegs. Auf halbem Weg passierte er einen Biergarten. Die Bänke waren nur spärlich besetzt. Zur Mittagszeit würde man bei diesem Wetter keinen Platz mehr bekommen. Der Gerstensaft würde golden in der Sonne glänzen, dann kühl und erfrischend in durstigen Kehlen verschwinden. Er schluckte trocken, als er darüber nachdachte, obwohl er kein großer Biertrinker war. Aber der Gedanke, gemütlich in diesem Biergarten zu sitzen, um bei sommerlichen Temperaturen den leicht bekleideten Damen hinterherzuschauen, war verlockend. Das steigende Thermometer tat sein Übriges, so dass er dieser Versuchung allzu gern nachgegeben hätte. Doch dann fiel ihm wieder ein, warum er in Stuttgart war.
    Vom Schlossgarten aus, hinter dem Planetarium, überquerte er auf der Fußgängerbrücke die Willy-Brandt-Straße, die geradewegs auf das Hotel Intercontinental führte. Das Fünf-Sterne-Hotel lag direkt am City-Ring. Er wunderte sich, wieso man freiwillig an einer der meist befahrenen Straßen Stuttgarts nächtigen wollte. Der Eingang protzte mit Marmor und
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