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Die Spucke des Teufels

Die Spucke des Teufels

Titel: Die Spucke des Teufels
Autoren: Ella Theiss
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sprechen. Und die ersten Finger werden sich heben
und auf den kleinsten Planwagen inmitten des Lagers deuten, worin Lisbeth sich
unter einem Kuhfell versteckt hat. Alle Zeigefinger werden sich auf Lisbeths
Planwagen richten wie kleine schmutzige Messer.

    Der Bopp wird hinspringen, die Plane zerschneiden, wird
Lisbeth an den Haaren vom Wagen herunterzerren, sie an Händen und Füßen
fesseln, knebeln und zwischen die Räder werfen.

    Und jetzt rührt euch!, wird der Bopp in die Stille
hineinrufen, worauf die Horde mit Gegröle ausschwärmen wird, die Frauen
ergreifen, niederschlagen, schänden, ihre Leiber verstümmeln, während ihre
Hunde über die Männer, die Kinder, die Alten und Kranken herfallen, sie
scheuchen, töten, zerfleischen werden. Und ich werde inmitten des Grauens
umherlaufen, werde den Sterbenden die Augen zudrücken und still mit den
Überlebenden weinen. Mehr kann ich nicht tun, denn ich bin nur ein Abglanz des
Guten im Menschen. Und ich kann seine Wut und seine Bosheit, wenn sie denn
einmal im Gange sind, nicht bändigen.

    In wenigen Wochen werden Bopp und seine Meute vor den
Truppen der Franzosen den Rhein hinauf bis an die Ruhr fliehen. Sie werden die
leer stehende Burg Broich besetzen, sich als Amtleute ausgeben und das Volk von
Mülheim über sieben lange Jahre knechten, schinden, meucheln. Noch Jahrhunderte
nach ihrem Tod werden die Raben von Broich um ihre Gräber kreisen und von ihren
Greueltaten singen.

     
    Nun aber ist es Abend bei Rees am Niederrhein. Die
Dragoner sind blutbesudelt, erschöpft und hungrig. Sie wischen ihre Säbel an
ihren Ärmeln ab, machen sich über die Vorräte auf den Planwagen her, fressen,
saufen.

    Meine Lisbeth liegt zitternd im Gras. Die Stricke schneiden
in ihre Haut, der Knebel drückt ihr die Luft ab, das Entsetzen wühlt in ihrer
Brust. Warum haben sie sie verschont? Um sie sich aufzuheben, als Nachtisch zu
ihrem Schlachtmahl? Um sie dem Kreutzer auszuhändigen? Um sie hochnotpeinlich
nach Willem zu befragen, nach Jost und den Kindern? Die Furcht und das Grauen
durchschütteln sie abwechselnd.
    Ich nehme ihren Kopf in meinen Schoß, küsse ihre Hände,
dort, wo ihr die Stricke ins Fleisch schneiden.

    Heilige Irmgard, lass mich sterben, fleht sie. Lieber
sterbe ich, als vor Pein die Menschen zu verraten, die mir lieb sind.

    Ich nicke. Ich lächle. Fahre mit der Hand durchs Gras,
finde das Messer, mit dem Lisbeth vor Stunden den Bärlauch zerhackt hat, lege
es in Lisbeths gefesselte Hände, die ich hoch über ihrer Brust zusammenführe.
Ich schließe ihre Augen und lösche ihre Furcht. Ich lasse den Stahl in ihr Herz
sinken. Rasch und endgültig stoße ich zu.

     
    Meine Lisbeth ist tot. Ich helfe ihr auf. Die
Fesseln fallen von ihr ab, der Knebel entfliegt ihrem Mund. Die schwarze Farbe
rinnt aus ihrem Haar. Ich führe sie zu der kleinen Lichtung, wo nichts als ein
einzelner unscheinbarer Eschenspross aus der Erde ragt. Trotz der
hereinbrechenden Nacht ist er von Sonnenstrahlen umgeben. Dort sind sie alle versammelt.
Mein lieber Bruder Bartholomäus winkt mit beiden Armen, als wolle er uns den
Weg weisen, Siegfried von Xanten erhebt sich ächzend aus dem Moos, der schöne
Indianer führt einen Freudentanz auf. Und Lisbeths Mutter fliegt uns entgegen,
breitet die Arme aus.

    Sei uns willkommen, mein liebes Kind!

30     Hannegret

     
    Die Mütze vom Jost ist aus lauter gelben Haaren.
Weil der Jost seine Mütze nicht mehr braucht, hat er sie Hannegret geschenkt.
Jetzt liegt sie in Hannegrets Schoß und glänzt im Abendlicht. Fast so wie
Lisbeths Haare in der Sonne geglänzt haben. Der Glanz blendet die Augen. Und
sticht ins Herz. Weil die Lisbeth jetzt weg ist. Sie wär im Himmel wie die Mama
und der Papa, hat der Vincent gesagt, der jetzt Franz heißt. Wenn das so ist,
will Hannegret auch in den Himmel. Sie schaut hinüber zum Ende der Welt, wo
sich über den schwarzen Zähnen des Waldes rosa und lila Wölkchen bauschen und
eine große goldene Sonne umrahmen. Es muss schön sein im Himmel.

    Aber der Vincent, der jetzt Franz heißt, will nach Hamburg.
»Erst mal nach Hamburg«, hat der Jost gesagt. Weil das eine freie Stadt sei.
Und es sei dort auch nicht kälter als in Hassum und Hommersum. Und alle haben genickt,
auch der Vincent, der jetzt Franz heißt.
    Der hockt neben Hannegret unter dem Holunderbusch, malt
mit einem blöden Stöckchen blöde Zeichen in den Sand und zieht die Nase hoch.
Hannegret glaubt, dass er weint, aber nicht mal merkt, dass
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